Das Warten auf den großen Knall

Tom Kühnel und Jürgen Kuttner inszenieren „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ nach Carl Sternheim im Residenztheater
Gabriella Lorenz |
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Tom Kühnel und Jürgen Kuttner inszenieren „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ nach Carl Sternheim im Resi

Die Helden heißen nicht zufällig Maske. Denn die solide Fassade und das Gesicht-Bewahren sind das Wichtigste für den kleinen Beamten Theobald (Oliver Nägele) wie für seinen Aufsteigersohn Christian (Johannes Zirner), der zum Großunternehmer wird. Von 1909 bis 1913 schrieb Carl Sternheim seinen Dramen-Zyklus „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“. 1914, vor 100 Jahren brach der Erste Weltkrieg aus, der das mitteleuropäische Staaten- und Gesellschaftsgefüge umpflügte. Diese Epoche und die Entwicklung dahin erkundet das Residenztheater in dieser Spielzeit – da ist der Zyniker Carl Sternheim ein unbestechlicher Zeitzeuge.

Das seit Jahren erprobte Regie-Duo Tom Kühnel (42) und Jürgen Kuttner (56) – beide haben im Cuvilliéstheater „Lola Montez“ inszeniert – montiert die drei Sternheim-Stücke „Die Hose“, „Der Snob“ und „1913“ zu einem auf dreieinhalb Stunden geschätzten Abend. Heute ist Premiere.

Bei einer Kaiser-Parade rutscht der hübschen Luise die Unterhose auf die Füße – ein Skandalon, das dem empörten Gatten aber Geld durch erotisch interessierte Untermieter einbringt. Zum Snob wird sein Sohn Christian, der für seine Heirat in die Aristokratie die Eltern abschiebt und 1913 als alter Konzernchef mit einer ebenso skrupellosen Tochter um die Macht kämpft. Natürlich muss bei so einer Raffung von drei Stücken auf einen Abend viel an Nebenfiguren und Nebenhandlungen gekürzt werden, aber der Text sei unverändert, versichern Kühnel und Kuttner. Sie hat auch nicht primär die Historie interessiert, sondern die Vergleichbarkeit mit heute. Weil beide Schnellredner sind, lassen wir sie ohne Zwischenfragen erzählen.

JÜRGEN KUTTNER Die Welt vor dem Ersten Weltkrieg ist unserer ähnlich: Vieles entwickelt sich, und dann bricht plötzlich eine Katastrophe rein. Die Finanzkrise ist noch längst nicht ausgestanden, die Konflikte in Syrien oder Afghanistan ziehen sich. Das hat apokalyptisches Potenzial. Und Ähnliches wird in „1913“ raffiniert, aber nicht vordergründig persifliert.

TOM KÜHNEL Uns interessiert weniger das Prophetische an Sternheim, eher das Warten auf den großen Knall.

KUTTNER Wir versuchen, den großen Bogen zu erzählen, von der kleinen Beamtenhütte bis zum Großkonzern. In der Sternheim-Rezeption gibt’s ein Grundmissverständnis: Der Titel „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ ist nicht satirisch. Sternheim betrachtet die Maskes wirklich als Helden, und wir nehmen das ernst. Wir machen uns nicht über sie als komische Figuren lustig.

KÜHNEL Der ursprüngliche Titel für „Die Hose“ war ja „Der Riese“. Theobald und Christian Maske sind für Sternheim Helden, weil sie die ihnen gesteckten Grenzen akzeptieren und trotzdem ihr Ding machen. Es gibt bei ihnen keine Selbstlügen. Beide sind zu sich unheimlich ehrlich. Sie wissen genau, was sie können und wollen.

KUTTNER Aber sie haben unterschiedliche Strategien. Der Vater unterläuft die Grenzen im Schatten der Unschuld, der Sohn geht drüber hinaus und sprengt sie.

KÜHNEL Dennoch ist das keine Entlarvungskomödie. Die Wirkung beruht auf dem Widerspruch dessen, was man sieht und was man hört. Da gibt’s verblüffende Übereinstimmungen mit heute.

KUTTNER Figuren wie Christian Maske haben eine erstaunliche Aktualität – der kriegt als eingeweihter Unternehmer selbst Angst vor den Goldbarren. Sternheim reißt den Zwiespalt zwischen Natur und Wollen auf – und entscheidet sich für das Individuum, für das Leben nach dessen Natur.

Residenztheater, Premiere am Freitag, den 21. Februar, 19 Uhr, Karten unter 2185 1940

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