"Das Schloss", inszeniert von Nicolas Charaux

Irgendwann ist der Landvermesser K. erschöpft von seiner Suche nach dem Schloss, von den zahlreichen Begegnungen mit den seltsamen Dorfbewohnern rund um das Schloss und der nebulösen Macht, die über alles herrscht, ohne irgendeinen Halt zu geben. Irgendwann war der schwer kranke Kafka erschöpft vom Schreiben seines Romans, weshalb er damit abbrechen musste und kurze Zeit später starb. Und nach hundert Minuten lässt auch Nicolas Charaux seine Inszenierung durchdrehen, bis diejenigen, die lange alles flott in Bewegung hielten, erschöpft zusammenbrechen.
Um genauer zu sein: Da steht die wie so oft wunderbar beseelte Mara Widmann innerhalb des Gehäuses, das Pia Greven für die Bühne des Volkstheaters entworfen hat, und spricht mit viel Ausdauer einen immer endloser werdenden Text, dessen Sinn sich beim Zuhören nicht im Hirn festsetzen will. Und die anderen drehen das Gehäuse ohne Unterlass, fallen teilweise wie Leichen zur Seite, als Opfer des kafkaesken Wortkreiselns. Dann steht das Gehäuse still. Widmann beendet ihre Litanei, und die Inszenierung findet bald zu ihrem abrupten, dem Romanfragment entsprechenden Ende. Die kupferfarbenen Klappen, die den Blick ins Gehäuse je nachdem herein gelassen oder blockiert haben, werden von den Spielern zum letzten Mal fallen gelassen. Und alle Fragen offen.
Ein Loch für die Neugier
Das Erzählen bricht einfach ab und hinterlässt ein Loch für die Neugier, noch viel mehr, weil zuvor ideenreich und komisch erzählt wurde. Kafkas Vorlage hat Nicolas Charaux stimmig eingedampft, auch wenn man sich zwischendurch fragt, ob das nun wirklich ein Werk ist, dass sich in seiner Beschreibungsvielfalt und Handlungsarmut, seinem über viele Seiten hinweg ins Herz schleichenden Horror wirklich für eine Theateradaption eignet. Aber schon oft wurde „Das Schloss“ auf die Bühne gehievt, der Titel zieht natürlich Zuschauer an, und der Roman ist eine Herausforderung, der sich Charaux und seine Darsteller mit mitreißend viel Lust am expressiven, auch clownesken Spiel stellen.
Dem quälenden Stillstand im Roman impft der französische Regisseur viel Bewegung ein: durch das per Darstellerkraft drehbare Gehäuse, aber auch durch viele schauspielerische Einlagen, wobei jeder und jedem im achtköpfigen Team, das eine Art gemeinschaftlichen K.-Erzählkörper bildet, Raum für komödiantische Nummern gegönnt ist. Mit ihren Pelzmänteln und Pelzmützen weisen sie auf die von menschlicher Wärme kaum tangierte Winteratmosphäre des Romans hin. Mit ihren geweißelten Gesichtern haben sie was von leicht irren Pantomimen, die im Wechsel Kafkas Text im Mund haben, aber auch Rollen spielen und gerne Grimassen schneiden, die Augen weit aufreißen, als ob sie einem deutschen expressionistischen Stummfilm entsprungen sind. Murnaus „Nosferatu“ war ja auch Inspiration für Kafka, die vampirischen Verhältnisse der Menschen untereinander eine Leidensquelle.
Viele gute Schauspieler
Die gelungenen Soli lassen sich kaum aufzählen: Luise Kinner beispielsweise gibt einen herrlich chaplinesken Boten Barnabas ab. Carolin Hartmann lässt den Text der Wirtin ganz sausen und nähert sich allein mit Lauten der eigentlichen Sprachlosigkeit der Menschen an, wobei die Gruppe um sie herum sie dennoch versteht. Silas Breiding zuckt sich wild durch seinen Text als Gemeindevorsteher, Körper und Geist grotesk aus dem Lot, wobei das Unheimliche des Romans bei Charaux im Gelage der Einfälle untergeht. Es ist letztlich ein heiterer Kafka, verspielt und genau inszeniert. Immer wieder schälen sich Einzelne heraus, werden zu K. oder einer anderen Figur, stehen der Gruppe gegenüber.
„Wir Fremden müssen zusammenhalten“, heißt es da mal, ein Kuss folgt, und dann küssen sich alle gegenseitig, weil eben die Gruppe oft das kopflos nachmacht, was andere tun. Gute Führung wäre erwünscht, aber die Macht ist obskur, die Liebe ein Rätsel. Immerhin: Sich fremd ist man gemeinsam.
Nächste Aufführungen: 30. Januar., 4., 11., 12., 28. Februar,19.30 Uhr im Volkstheater, Karten unter Telefon 523 46 55