Das Resi unter den Nazis

Noam Brusilovskys historische Recherche "Mitläufer" im Marstall
von  Mathias Hejny
Steffen Höld als Generalintendant Oskar Walleck in "Mitläufer".
Steffen Höld als Generalintendant Oskar Walleck in "Mitläufer". © Sandra Then

Das Bayerisches Staatsschauspiel suchte nach braunen Flecken seiner Vergangenheit und wurde, naturgemäß, fündig. Der aus Haifa stammende Regisseur Noam Brusilovsky hatte mit einem viel beachteten Hörspiel über den Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel bereits Expertise für Persönlichkeiten des Dritten Reichs. Zusammen mit Lotte Beckers rechercherte er in den Archiven zwischen München und Berlin.

Im Zentrum des Dokutheater-Projekts "Mitläufer" im Marstall, uraufgeführt am 85. Jahrestag der von den Nationalsozialisten als "Kristallnacht" verherrlichten Pogromnacht von 1938, stehen drei Männer: Oskar Walleck als Generalintendant der Bayerischen Staatstheater, der die Oper, das Residenztheater und das Prinzregententheater leitete, Alexander Golling, der ihm nach einer Strukturreform der Theaterlandschaft als Intendant des Staatsschauspiels folgte und dessen Chefdramaturg Curt Langenbeck.

Allen drei gemeinsam ist nicht nur, "die Theaterluft zum Leben" zu brauchen, wie Golling gesteht, sondern auch das frühzeitige Bekenntnis zum Nationalsozialismus schon vor 1933. Die Textcollage aus persönlichen Schriftstücken, Tondokumenten, Zeitungsartikeln und vor allem den Protokollen des Spruchkammerverfahrens, bei dem sie nach dem Krieg aussagen mussten, bietet eine Fülle von biografischen wie historischen Details.

An der Bühnenpforte des Residenztheaters, das Ausstatterin Magdalena Emmerich ganz naturalistisch nachbaute, gleitet der Stoff durch die Jahrzehnte. Der dramatauglichen Dämonie des Karrieristen Hendrik Höfgen, den Klaus Mann einst in seinem Roman "Mephisto" als literarischen Wiedergänger von Gustaf Gründgens erfand, traut Brusilovsky nicht. Er setzt auf die schon von Hannah Arendt beim Eichmann-Prozess 1961 diagnostizierte "Banalität des Bösen".

Dazu gehört auch die Mitwirkung von Claudia Golling, die 1950 geborene Tochter von Alexander Golling. Sie war "Papis Püppi" und wollte schon als kleines Mädchen Fausts Gretchen spielen. Als Erwachsene setzte sie sich mit der Rolle ihres Vaters im faschistischen Theaterbetrieb auseinander. Sie wurde selbst Schauspielerin und beschäftigt sich nicht zuletzt mit der Verantwortung, die das Theater selbst in den politischen Umständen ihrer Zeit trägt. "Das Theater ist, genau wie das Gericht", erklärt sie, "der Ort, wo Wahrheit und Lüge in Frage gestellt werden; wo Glaubwürdigkeit immer auch eine Frage der Performance ist".

So geht es um die immerwährende Erfindung der Ereignisse und Vorgänge, eine Selbstdarstellung sowie die Neuinszenierung des eigenen Lebens. Das könnte ganz großes Theater sein, aber Noam Brusilovsky scheut das Drama und meidet Gefühle. Es spricht für ihn, auf das allzu naheliegende Besserwissertheater der Nachwelt zu verzichten und auch keine monströsen Tarantino-Nazis zur Schau zu stellen.

Aber es befremdet schon, dass er ausgerechnet die authentische Verwandte seines zentralen Protagonisten viel zu häufig stumm im halbdunklen Hintergrund abstellt. Dafür glänzen die Herren betont unspektakulär in filigranen Charakterstudien.

Michael Goldberg (Golling) und Steffen Höld (Walleck) sind die kultivierten und nicht durchweg unsympathischen Theaterchefs, die noch fest daran glauben, das Kunst nichts mit Politik zu tun habe. Wenn die Ideologen des Reiches ihnen das Gegenteil beweisen und sich in ihren Kulturauftrag einmischen, finden sie stets pragmatische Lösungen.

Das völkische Glühen lebt indes auf der mittleren Managementebene. Chefdramaturg Langenbeck ist bei Lars Meyer eine vom Traum auf ein "neues nationales Drama aus der Geburt der Tragödie" durchdrungene und durchaus beunruhigende Persönlichkeit. Seine ganz individuelle Tragödie war schließlich, dass seine eigenen Bühnenwerke als Anleitung zum Sturz des "Führers" missdeutet wurden und, wie auch er selbst, schon 1941 als "unerwünscht" aus den Theatern verschwanden.

Marstall, wieder am 16., 24., 30. November, 1., 5., 22. Dezember, 20 Uhr, Karten online und unter Telefon 21851940

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