Kammerspiele: Das Märchen vom Einzeltäter

Zwei Wochen nach dem Attentat auf dem Oktoberfest unterlag Franz Josef Strauß dem amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt bei der Bundestagswahl und die Grünen erreichten bei ihrem ersten Auftritt auf Bundesebene übersichtliche 1,5 Prozent. In den Discos tanzte man zu "Daddy Cool" von Boney M.
Der Anschlag auf die Wiesn, bei dem 13 Menschen einschließlich des Attentäters starben und 221 Festbesucher zum Teil schwerste Verletzungen erlitten, jährte sich in diesem Herbst zum 40. Mal. Christine Umpfenbach nimmt das zum Anlass für die Dokumentation "9/26 - Das Oktoberfestattentat" im Werkraum der Kammerspiele.
Visuell zurückgenommene Inszenierung
Ihre visuell betont zurückgenommene Inszenierung mit ihrem auf an Luftballons aufgehängte Vorhänge reduziertes Bühnenbild (Evi Bauer) beginnt mit einer Liste dessen, was die Republik 1980 politisch und gesellschaftlich bewegte. Die amerikanische Schreibweise des Datums nimmt Bezug auf "9/11", den Terroranschlag auf das World Trade Center in New York. Die meisten können sich noch daran erinnern, was sie am 11. September 2001 gemacht haben. Das Oktoberfest-Attentat ist zwar der verheerendste Terrorakt in der Geschichte der Bundesrepublik, aber kaum jemandem dürfte etwas spontan zum 26. September 1980 einfallen.
Der heute 57-jährige Stefan Merki kann sich an das Ereignis erinnern, denn im Gegensatz zu seinen fünf Kolleginnen und Kollegen in dieser Produktion, die zum Teil noch an der Otto-Falckenberg-Schule studieren, lebte er bereits. Als junger Schweizer, so berichtet er allerdings, widmete er in jener Zeit den Unruhen in Zürich größere Aufmerksamkeit.
Kein Einzeltäter - sondern rechter Terror
Lange hielt sich das Märchen vom verwirrten Einzelgänger. Es waren dann Einzelgänger wie der Journalist Ulrich Chaussy und der Opferanwalt Werner Dietrich, die aufdeckten, wie die ermittelnden Behörden den rechtsradikalen Hintergrund des Bombenlegers Gundolf Köhler verschleierten.
Der damals 21-Jährige war Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann, was zwar frühzeitig bekannt war, aber nicht zu Untersuchungen im ultrarechten Milieu führte. "Die Ermittler lieben den Einzeltäter" heißt es im Verlauf des Stücks. Unter CSU-Ministern ist das eine bis heute gepflegte Tradition, wenn es um rechten Terror geht.
Wehrsportgruppe Hoffman wurde "völlig unterschätzt"
Immerhin räumte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann vor vier Wochen, zum Jahrestag des Anschlags, ein, dass der seinerzeitige Ministerpräsident Strauß die Gefahren durch die Wehrsportgruppe Hoffman "völlig unterschätzt" habe.
Die Stärke der Dokumentationen von Christine Umpfenbach ist es, wie etwa 2014 bei ihrem NSU-Projekt "Urteile" im Marstall, sich mit den Tätern bestenfalls am Rande zu beschäftigen. Sie bezieht die Positionen der Opfer, die sich in diesem Falle nicht als solche, sondern als "Überlebende" begreifen.
Hohe Authentizität
Zu den Faktenchecks gehören aktuelle Interviews mit den Betroffenen, die am Uraufführungsabend anwesend waren. Das verleiht der Arbeit eine hohe Authentizität, doch, wie so oft, ist das Umpfenbachsche Erklärtheater trocken wie ein "I-liab-di"-Lebkuchenherz auf dem Oktoberfest. Aber wenn Polizei und Justiz jahrzehntelang derart eklatant und ganz offensichtlich vorsätzlich die Ermittlungen behindert haben, müssen den Job die Schauspieler machen.
Münchner Kammerspiele, Werkraum, 26.Oktober, 19 Uhr, 8. November, 18 Uhr, 14. und 15. November, 20 Uhr, Karten unter (089) 23 39 66 00 oder unter theaterkasse@kammerspiele.de