Das Houellebecq-Projekt "Plattform/Unterwerfung" endgültig abgesagt

Die Kammerspiele streichen ihr Houellebecq-Projekt "Plattform/Unterwerfung" endgültig aus dem Spielplan. Das Symptom einer Krise?
MÜNCHEN - „Die Produktion konnte sich nicht aus der durch die Absage des Regisseurs Julien Gosselin verursachten Krise befreien“, teilte das Haus am Montag mit. Die für den 19. November vorgesehene Premiere entfalle ersatzlos. Für weitere Vorstellungstage sei Ersatz geplant. Nach einem Regisseurwechsel mitten in den Proben haben die Kammerspiele ihre Inszenierung von Michel Houellebecqs Romanen „Plattform“ und „Unterwerfung“ komplett abgesagt.
Nach drei Wochen Probenzeit hatte Gosselin kürzlich hingeschmissen. Grund sei eine „Krise“, hervorgerufen durch technische Unstimmigkeiten, die Probenorganisation und den Unterschied zwischen dem französischen und dem deutschen Theatersystem, erklärte Intendant Matthias Lilienthal damals.
„Plattform“ erschien vor rund 15 Jahren. Der Roman erzählt von der Suche eines frustrierten Protagonisten nach sexueller Erfüllung und endet mit einem islamistischen Terroranschlag. Das 2015 erschienene Buch „Unterwerfung“ entwirft die Fiktion eines islamisierten Frankreich unter einem muslimischen Präsidenten. In Hamburg ist die dramatisierte Fassung des Romans mit Edgar Selge ein großer Erfolg.
Um inhaltliche Fragen sei es bei dieser Krise „null, überhaupt nicht“ gegangen. Hausregisseur Nicolas Stemann, der im April Elfriede Jelineks Stück „Wut“ über den Terroranschlag auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ an den Kammerspielen uraufgeführt hat, sollte das Projekt gemeinsam mit dem Ensemble übernehmen. Lilienthal war „guter Hoffnung“ gewesen – offenbar vergebens, wie die endgültige Absage beweist.
Es wirkt nicht ganz überzeugend, dass auch der mit den Kammerspielen vertraute Hausregisseur die technisch-organisatorischen Probleme nicht lösen konnte. Aber die innere Logik solcher Krisen erschließt sich Außenstehenden fast nie. Und es gehört für Mitarbeiter zum guten Ton, darüber gegenüber Außenstehenden zu schweigen und dem Intendanten die Erklärung zu überlassen.
Der große Knüller des Intendanten Lilienthal steht noch aus
„Wir arbeiten viel mit jungen Regisseuren“, erklärt Lilienthal. „Da sind gelegentliche Betriebsunfälle unvermeidlich. Und sie kommen auch in anderen Theatern vor.“ Das stimmt: Im Frühjahr musste das Residenztheater eine Produktion streichen. Wegen „unüberbrückbarer künstlerischer Differenzen“ wurde die Premiere von Peter Handkes „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ durch die Übernahme einer Inszenierung von Ibsens „Nora“ aus Klagenfurt ersetzt.
Aus gewöhnlich gut unterrichteten Theaterkreisen vernimmt man allerlei Getratsche über die intern eher mäßige Stimmung an den Münchner Kammerspielen. „Man hört viel, wenn der Tag lang ist“, wehrt Lilienthal ab, und da kann man ihm schlecht widersprechen.
Die bisherige Bilanz des Intendanten ist durchwachsen. Vieles ist natürlich Geschmacksache. Aber es gibt unter allen Beobachtern einen gewissen Konsens darüber, dass der große Knüller in Lilienthals erster Spielzeit ausgeblieben ist.
Das Theater hangelt sich von einer lauwarmen Premiere zur nächsten. Auch wenn man die Politisierung des Spielplans und die Fokussierung auf das allgegenwärtige Thema Migration begrüßt: Vieles wirkt wohlfeil und predigt ausschließlich zu den ohnehin bereits Überzeugten. So richtig gestritten wird über Lilienthals Theater nicht.
Hartnäckig halten sich auch Mutmaßungen über einen Besucherschwund, die vom Augenschein beim Besuch von Repertoirevorstellungen bestätigt werden. Viele Aufführungen sind nur halb voll. Ältere Abonnenten werden mit dem neuen Ensemble nicht recht warm und sprechen von „engagiertem Laienspiel“. Das jüngere Publikum kommt nicht in dem Maß, wie Lilienthal es erhoffte.
Auch hier widerspricht der Intendant: „Alle drei Münchner Sprechtheater hatten am Anfang dieser Spielzeit einen Hänger. Das ist vorbei: ,Der Fall Meursault’ läuft super. Und das Residenztheater hat mit den ,Räubern’ einen echten Erfolg. Ich finde, dass eher von einem neuen Münchner Theaterwunder die Rede sein sollte.“
Das erinnert an das ängstliche Pfeifen im Walde. Aber es ist die Pflicht eines Intendanten, gute Stimmung zu verbreiten. Und oft sind Krisen auch eine Chance. Man muss sie nur nutzen.