Das herausragende "Portrait Wayne McGregor" im Nationaltheater
Soviel Schlagkraft ist selten! Drei ästhetisch wie musikalisch unterschiedliche Choreografien hat der Brite Wayne McGregor in seinen Porträtabend für das Bayerische Staatsballett gepackt. Die drei Stücke erweisen sich als Gesamtkunstwerke aus Musik, Licht, markanten Ausstattungselementen und einer eigenwillig-schrägen, megaverschraubten und scharf konturierten Bewegungssprache.
Das Ganze clever gestaffelt und auf ein fulminantes Finale hin ausgerichtet: „Borderlands“ – 2013 vom San Francisco Ballet uraufgeführt – ist ein erlesener Beitrag der Tanzszene zum 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses. Das Sehabenteuer lenkt die Wahrnehmung in einem nüchternen Kabinett durch subtile farbliche Lichtstimmungen (Lucy Carter).
Zudem zeichnet es sich dadurch aus, dass man McGregors Zugang mittels intensiver Recherche – in diesem Fall rund um den deutsch-amerikanischen Bauhaus-Künstler und Farbanalytiker Josef Albers – hier am ehesten nachvollziehen kann. Erstaunliche Erkenntnis: Auch die beiden vorangegangen Arbeiten sind plötzlich besser zu begreifen und konzeptionell einzuordnen. So bekommt man Lust, den Abend gleich nochmals anzusehen.
Hightech-Dance pur
Der Münchner Kompanie unter Igor Zelensky ist mit „Portrait Wayne McGregor“ ein nachwirkendes zeitgenössisches Triptychon gelungen. Akustisch erlebnisreich aufgrund moderner Orchestermusik von Max Richter („Kairos“) und Kaija Saariaho („Sunyata“) sowie mal wirklich hörenswerten elektronischen Auftragskompositionen von Joel Cadburry und Paul Stoney („Borderlands“).
Hinzu kommen diverse Qualitäten auf tänzerischer Ebene. McGregors Bewegungsfindungen sind Hightech-Dance pur: höchst virtuos, oft frappant, gleichzeitig enorm kontemplativ, voll kraftraubender, extrem linienverbogener, schneller und vertrackt dahinfließender Schrittvariationen. Besonders überrascht, wie sich selbst bei gröberen und hektischeren Passagen die bisweilen fast stoische Konzentriertheit der Akteure in den Zuschauerraum überträgt.
Sequenzen überlappen, werden synchronisiert oder kanonisch verschoben. Es gibt den gedehnten Augenblick hier und fantastische Momente von Gelassenheit dort. Ob als Solist oder Gruppe: Form steckt in jedem gestischen Detail. Präsenz und Präzision steigern sich zu Ausdruck – aller Abstraktion zum Trotz. Treten Paare in Interaktion, entsteht emotional knisternde Spannung.
Die Reise in McGregors gegenwartsbezogenen Ballett-Kunst-Kosmos beginnt hinter einer je nach Beleuchtungseffekt mehr oder weniger durchsichtigen Gaze-Leinwand. Darauf erkennt man verwaschen die Linien einer Partitur. Später drängeln sich darauf tausend winzige Noten. Im Stroboskoplicht tauchen zehn Tänzer auf und verschwinden wieder. Diese Sekundenbilder brennen sich ins Bewusstsein. Dann kommt eine halbrunde Mauer ins Spiel. Sie wird umgangen, mit Fäusten traktiert und angetanzt – Männer und/oder Frauen ordentlich aneinander gefädelt.
„Kairos“ entstand 2014 für das Zürich Ballett und schöpft sein Vokabular aus dem klassischen Tanztechnik-Fundus. Semantisch aber werden bekannte Elemente zu risikobehafteten neuen Strukturen verflochten. Becken rotieren, Arme schraffieren Muster in den Raum. Der Körper kippt und stahlharte Beine schnellen über 180 Grad hoch. Butterweiches, muskulöses Schlängeln und kautschukartige Elastizität lassen Regeln menschlicher Anatomie vergessen.
Potenzial, das Publikum öfter als nur einmal gefangen zu nehmen
In den choreografisch ambitioniertesten und klanglich exotischsten Teil des Abends – McGregors dramaturgischen, für das Bayerische Staatsballett kreierten Ruhepol „Sunyata“ – führt Ksenia Ryzhkova ein. Dabei unterscheiden sich ihre Bewegungsattacken famos vom Duktus und den Betonungen, die sie im finalen „Borderlands“ praktiziert. Eine Herausforderung, die Wayne McGregor vor allem jenen sechs Tänzern abverlangte, die er gleich in zwei der drei Werke besetzte.
Wie bei „Borderlands“ legte er auch in „Sunyata“ bei der Ausstattung selbst Hand an. Schade nur, dass die sechs Vierzeiler des persischen Sufi-Mystikers Rumi, die sowohl Saariahos Komposition „Circle Map“ als McGregors Tanzumsetzung zugrunde liegen, szenisch nicht aufscheinen. Man muss sie im Programmbuch nachlesen, das zugleich ein McGregors Arbeiten reflektierender Gedichtband ist.
Dafür prangt eine überdimensionale persische Miniaturmalerei über der Szenerie. Mittenhinein hat McGregor ein Loch gestanzt und durch eine Scheibe ersetzt. Die leuchtet rot, wird von Schwärze überzogen und schillert zum Schluss nur mehr als heller Kreis einer Sonnenfinsternis. Am Boden sieht man das fehlende Bildsegment. Die acht Tänzer wirken kostümfarblich wie aus der aufgeschlagenen Seite gefallen.
Stücken wie diesen sollte man sich vorbehaltlos aussetzen. Sie haben Potenzial, das Publikum öfter als nur einmal gefangen zu nehmen.
Wieder am 28. April, 11. und 18. Mai sowie im Juni um 19.30 Uhr im Nationaltheater. Karten unter Telefon 2185 1903
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