Das große Dunkel namens heute
Eine Laune im Produktionsrhythmus der staatlichen und städtischen Münchner Groß-Bühnen bescherte uns innerhalb von drei Tagen gleich fünf Premieren. Dabei wollte der hübsche „Don Pasquale“ des Gärtnerplatztheaters nur unterhalten. Alle anderen Abende kränkelten am gleichen Symptom: Sie dränten auf Teufel komm raus zur Gegenwärtigkeit, verrammelten aber den Bühneneingang vor der Wirklichkeit.
In den nächsten Tagen wird die Staatsoper in Dvoráks „Rusalka“ noch einmal den Fall Kampusch verhandeln. Poulencs „Dialogues des Carmélites“ gewährt den Blick ins innere Zwangssystem einer evangelikalen Sekte. Die alten Opern sind ganz nah. Und was macht das frisch geschriebene „Babylon“, das am Samstag seine Premiere hatte? Jörg Widmannns und Peter Sloterdijks Oper schwebt philosophisch über den Wassern der Sintflut und verhandelt die Abschaffung des Menschenopfers vor 4000 Jahren.
Im Residenztheater düstert zu Beginn von Martin Kušejs Inszenierung von „Hedda Gabler“ Elektro-Musik. Das lässt einen zeitgemäßen Neo-Noir-Film erwarten, der den Bogen zum heute ebenfalls erlebbaren kriminellen Beziehungsalltag schlagen könnte. Doch weit gefehlt! Die Ehe und der Wissenschaftsbetrieb haben sich in den letzten 100 Jahren so stark verändert, dass Ibsen nur schwer in einen Zeitgenossen zu verwandeln ist.
Kušej wartet scheinbar darauf, dass der heutige Bezug sich von selbst ergibt. Die Kostüme sind historisch, der Raum aber abstrakt. Er öffnet sich nach hinten ins große Dunkel, wo Hedda sich am Ende das Leben nimmt. Aber würde eine Frau aus der bürgerlichen Oberschicht, die im Ehegefängnis mit einem Langweiler festsitzt, sich heute nicht einfach scheiden lassen? Wer könnte diese Hedda denn im Jetzt sein?
Den aktuellen politischen Revolutionen wollte Volkstheater-Chef Christian Stückl mit „Dantons Tod“ nachspüren. Immerhin lehnt sich in Syrien und anderswo das Volk gegen Despoten auf, und bei uns wird der Verfall demokratischer Institutionen beklagt. Georg Büchners Schauspiel also das Stück des Tages sein. Doch Stückl macht aus diesem Revolutionsdrama ein zurückhaltendes psychologisches Kammerspiel. Das Politische blendet er in der Briennerstraße weitgehend aus.
Auch die Kammerspiele versuchen, nah am Puls der Zeit zu sein. Intendant Johan Simons hat einen Text bei Elfriede Jelinek über die Mode und Maximilianstraße in Auftrag gegeben. Die Nobelpreisträgerin erregt sich überdeutlich über den Konsumismus der Schicki-Meile und streift nur, dass die Wirklichkeit noch perverser ist: Umsatz wird in den dortigen Geister-Läden kaum erwirtschaftet. Geld wird über eine seltsame Umwegrentabilität mit dem Ruhm des Standorts verdient, an dem man unbedingt eine Filiale haben will.
Der Auftritt von Rudolph Moshammer in „Die Stadt. Die Straße. Der Überfall“ zeugt dann auch noch von einer seltsamen Nostalgie und steht für die steile These, dass sein Tod auch die Maximilianstraße killte. Wie man sie beleben könnte, darüber denkt die Requiem-Inszenierung nicht nach, sondern verliert sich lieber in der Selbstbespiegelung der Autorin.
Was das Handwerk angeht, konnte man gar nicht viel klagen. Aber eine zündende These zum Status quo musste man an diesem Wochenende vermissen.