Interview

Claus Peymann disst die Kammerspiele

Claus Peymann vor der Premiere von "Minetti" über München und seine Inszenierung von Thomas Bernhards "Minetti"
von  Robert Braunmüller
Claus Peymann wurde 1937 in Bremen geboren. Der Sohn eines Lehrers war Schauspieldirektor in Stuttgart, Intendant in Bochum, Direktor des Wiener Burgtheaters (1986 - 1999) und zuletzt bis 2017 Leiter des Berliner Ensembles.
Claus Peymann wurde 1937 in Bremen geboren. Der Sohn eines Lehrers war Schauspieldirektor in Stuttgart, Intendant in Bochum, Direktor des Wiener Burgtheaters (1986 - 1999) und zuletzt bis 2017 Leiter des Berliner Ensembles. © picture alliance / Jörg Carstensen/dpa

Es ist Silvester in Oostende. In der Halle eines Hotels, das die besten Zeiten hinter sich gelassen hat. Hier wartet Minetti auf den Schauspieldirektor von Flensburg, um ein Gastspiel zu besprechen. Claus Peymann, wie kein anderer vertraut mit dem Werk des österreichischen Dramatikers Thomas Bernhard, inszeniert "Minetti" mit Manfred Zapatka.

AZ: Herr Peymann, warum ist das erst Ihre zweite Inszenierung in München. Was war die erste?

CLAUS PEYMANN: Ich frage mich auch, ob ich wirklich 86 Jahre alt werden musste, um hier in München zu gastieren!? Ja, einmal war ich schon da: 1970, als junger Regisseur, mit den damals unbekannten "jungen Wilden" Otto Sander und Heinrich Giskes habe ich im Werkraum die Uraufführung von Harald Muellers "Großer Wolf" inszeniert. Therese Giehse, die mich sehr mochte, und die "Großstadt" München haben mich damals verführt…

Und warum danach nie mehr?

Ach, ich ging dann bald als Schauspieldirektor nach Stuttgart, später nach Bochum, an die Wiener Burg und zuletzt ans Berliner Ensemble… Und ich habe nie gastiert: Wer meine Arbeiten sehen wollte, musste in "meine" Theater kommen. Diese Treue zum eigenen Haus habe ich auch an Dieter Dorn geschätzt.

Wie haben Sie München aus der Distanz wahrgenommen?

München ist das schwächere Wien. Das Münchner Publikum ist so theaterverrückt wie die Wiener. Das Residenztheater war immer eine Art Altersheim für großartige Schauspielstars. Sonst passierte da nicht viel. Das hat sich geändert: Andreas Beck - der anno dazumal Assistent bei uns an der Burg war - macht einen guten Job. Das Resi hat die Kammerspiele abgehängt.

Sie haben 1976 in Stuttgart die Uraufführung von "Minetti" inszeniert - mit dem Original-Minetti. Lässt sich dieses eher selten gespielte Stück überhaupt mit einem anderen Schauspieler aufführen?

Minetti mit Zapatka - das war die Idee von Beck. Eigentlich inszeniere ich nie ein Stück zweimal. Und schon gar keinen Bernhard… Dann habe ich "Minetti" wieder gelesen und zu meiner Überraschung festgestellt, dass das immer noch ein tolles Stück ist, mit viel Platz für Fantasie und neue Ideen. Wahrlich ein Künstlerdrama, das nie unmodern wird. Mit Bernhard Minetti dieses Stück zu machen, wurde zum "Hochamt der Schauspielkunst" - jetzt, mit Manfred Zapatka ist es eine "wilde Messe". Man müsste das Stück "Zapatka" nennen, hat der Dramaturg Hermann Beil eben, nach einer Probe, geschwärmt…

Wie war das eigentlich, mit Bernhard Minetti bei diesem Stück zu arbeiten, das ihn als gescheiterten Schauspieler zeigt?

Man musste ihn zähmen und von seiner Egomanie befreien. Dadurch ging viel verloren, aber es entstand auch Grandioses. Beim Wiederlesen dachte ich, warum soll Minetti nach dem Tragiker nicht ein Spieler, ein melancholischer Clown, sein? Ich kenne Zapatka seit der Schauspielschule, und er wurde bald zum Jungstar in Stuttgart. Jetzt treffen wir uns wieder - beide alt geworden.

Ihr Ausstatter ist auch nicht unbekannt.

Achim Freyer, ein Maler und Bühnenbildner-Genie! Auch er war in München nie präsent. Und ist inzwischen fast 90! Liegt das etwa an unserm Alter, dass die Stadt sich erst jetzt an uns heranwagt?? - Es hat mich gefreut, einmal nicht in einem großen Kasten, sondern in einem kleinen Haus wie dem Marstall zu arbeiten. Freyer hat den Marstall in eine rote Hotelhölle verwandelt - was alle wegen des Aufwands stöhnen läßt…

Sie waren bei der Uraufführung 39 Jahre alt - jetzt sind Sie 86. "Minetti" nennt sich im Untertitel "Porträt des Künstlers als alter Mann". Macht das etwas mit Ihnen?

Die Hauptfigur ist ein einsamer, gescheiterter Theaterkünstler, den niemand mehr will. Ein Schlüsselstück über mich? Keine schlechte Idee fürs Resi, "Minetti" am Tag meiner Beerdigung auf den Spielplan zu setzen. (lacht)

Minetti redet und redet, die anderen Figuren hören zu. Ist dieses Schweigen der meist weiblichen Bernhard-Nebenfiguren nicht sehr undankbar zu spielen?

Beobachten Sie in "Minetti" doch Barbara Melzl, die eine verrückte und mutige Schauspielerin ist, mit oder ohne Text, oder auch Pujan Sadri oder die junge Naffie Janha: Da wird durchs Zuhören die Seele eines Menschen sichtbar. Und harmlos - oh nein, das sind Bernhards Frauen nie, die haben es in sich. In Bernhards Gegenwart war ich übrigens immer der Zuhörer…

Ich habe einige Ihrer Bernhard-Inszenierungen gesehen - etwa den "Theatermacher", "Ritter, Dene, Voss" und "Heldenplatz" Mit Bernhard-Aufführungen anderer Regisseure wurde ich nie glücklich - ich fand sie komödiantisch zu überdreht.

Ich habe 14 Stücke Bernhards uraufgeführt, und das hatte wohl seinen Grund. Zum einen waren Schauspieler wie Gert Voss, Marianne Hoppe, Kirsten Dene oder Bruno Ganz immer auch "sein" Ensemble beim Schreiben. Und als Theaterdirektor habe ich immer die besten Bedingungen geschaffen für die Uraufführungen meiner Zeitgenossen, die Autoren. Handke, Bernhard und Jelinek sind so wichtig wie Shakespeare, Goethe und Kleist. (Oder doch wichtiger?) Für mich sind die Dichter immer die Nummer Eins. Dann kommen die Schauspieler, dann lange nichts - und dann erst der "Kapellmeister" des Textes, der Regisseur… oder die Regisseurin!

Das sieht die jüngere Generation oft anders.

Na und? Soll sie doch!

Wenn man an die großen öffentlichen Debatten um Bernhard-Uraufführungen wie "Heldenplatz" denkt, kann man schon auf die Idee kommen, dass Theater heute an Relevanz verloren hat.

Stimmt, manchmal wird mir angst und bange, dass die aktuellen Debatten um Sparmaßnahmen und Rentabilität die Theater noch zum Verschwinden bringen. Aber wir Verrückten und Träumer, wir spielen weiter und weiter, in Kellern und Hinterhöfen, im Himmel und in der Hölle… Denn der Mensch braucht Theater, braucht das Spielen, um mit seinen Ängsten fertig zu werden. Das ist genauso wichtig wie Wasser und Brot.

Premiere am Samstag, 28. Oktober, 20 Uhr im Marstall, ausverkauft. Weitere Vorstellungen am 29. Oktober, 19. November, 12., 13., 31. Dezember und an Neujahr. Karten unter residenztheater.de

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