Claude Debussys "Pélleas et Mélisande" im Prinzregententheater - die AZ-Kritik
Es ist seit 100 Jahren nicht verboten, diese Oper langweilig zu finden. Wer Spektakel wie den „Ring des Nibelungen“ oder Hitziges wie „Otello“ oder gar „Cavalleria rusticana“ schätzt, dem fallen bei Debussys Musikdrama leicht einmal die Augen zu. Aber es gibt auch Menschen, die Bühnenblut und den ewigen Theaterdonner satt haben. Die liegen bei diesem ruhig erzählten Ehe- und Eifersuchtsdrama genau richtig.
In „Pelléas et Mélisande“ passiert wenig. Und das zu einer leisen, unaufdringlich-schönen Musik. Wagnerianer, Verdi- und Verismo-Verehrer müssen sich bei der ersten Festspielpremiere der Bayerischen Staatsoper an die exzellente Besetzung und den Dirigenten halten. Freunde von Langsamkeit werden durch die Regisseurin Christiane Pohle im Prinzregententheater mit einer weitere Rückdrehung an der Verrätselungsschraube trefflich bedient.
Melancholische Kopfhänger
Wie im Traum schlurfen die Figuren über die Bühne des Prinzregententheaters. Sie lassen ihre Köpfe melancholisch hängen. Und wenn der Ehebruch aufgedeckt wird, stehen sie einfach nur da. Dafür räumen Statisten dann panisch ein Zimmer mit Möbeln der fünfziger Jahre ein. Was seinen ganz eigenen Reiz hat.
Der Märchenwald beschränkt sich auf ein paar Bürozimmerplanzen. Wenn Pelléas in Mélisandes langen Haaren wühlen sollte, stehen die Figuren voneinander entfernt. Pohle konzentriert sich auf eine Sache: die Verweigerung von Berührung. Ihr Ding zieht sie konsequent durch. Oder, je nach Blickwinkel: rücksichtslos.
Darüber ließe sich reden. Auch über die paradoxe Steigerung der Einsamkeit durch ein gutes Dutzend autistischer Statisten, die an einer Hotelrezeption Schlüssel und Kuverts abholen. Wäre da nicht ein Déjà-vu: Marie-Alice Bahras Einheitsraum zitiert zum dreihundertfünfundsechzigsten Mal Edward Hoppers Gemälde „Nighthawks“ auf die Bühne. Die braune Vertäfelung samt den Polstersesseln aus der Nierentischzeit kennt jeder erfahrene Theatergänger aus den Inszenierungen von Christoph Marthaler.
Zu viel Marthaler
Auch die zwischenzeitlich versagende elektrische Schiebetür kommt einem von Anna Viebrock irgendwie bekannt vor. Es fehlt nur noch die legendäre Aufschrift „Damit die Zeit nicht stehen bleibt“. Nach der Pause marthalert es noch mehr, wenn der Arzt im quergestreiften graubrauen Pullunder die Stühle sortiert. Zuletzt sitzen alle vor dem Publikum im Stuhlkreis wie vor einem Therapeuthen. Und Mélisande geht weg, statt zu sterben.
Gewiss: Es gibt kaum ein Stück, bei dem es sich mehr anbietet, eine Schauspielregisseurin zu engagieren. Aber Marthaler nur mit Marthalers Dramaturgen als Regiemitarbeiter ist keine Antwort auf die Rätsel dieses Stücks.
Wer so etwas zum ersten Mal sieht, mag es stimmungsvoll finden. Denn es passt irgendwie. Nichtsdestotrotz ist es eine seit über zwei Jahrzehnten verschlissene Bühnensprache.
Sehr gute Sänger
Für sie entschädigt die Besetzung. Elena Tsagallova hat ein schlankes, eher dunkles und dabei leuchtendes Timbre: mehr eine natürliche junge Frau als Femme fragile. Elliot Madore wirkt als Pelléas eine Spur animalisch. Sein heller Bariton bildet den idealen Kontrapunkt zur härteren, dunklen Stimme von Markus Eiche (Golaud). Auch die kleineren Rollen sind mit Alastair Miles (Arkel) und Okka von der Damerau (Genevieve) luxuriös besetzt, der Tölzer Knabe Hanno Ellers als Yniold singt und spielt ebenfalls vorzüglich. Und dass die Sänger eine Spur vitaler wirken, als die Inszenierung ihnen zugestehen will, ist ein interessanter Widerspruch.
Das Bayerische Staatsorchester unter Constantinos Carydis hinterlässt diesmal eher zwiespältige Gefühle. Der Dirigent müht sich um Trennschärfe, klare Farben und Nüchternheit. Die hauchzarte Musik tönt bisweilen arg handfest. Fahle, abgeblendete Mischungen interessieren Carydis weniger.
Es mag stärker als sonst von der persönlichen Gestimmtheit abhängen, ob man diese Aufführung großartig oder daneben findet. Und deshalb gab es nach längerer Zeit wieder eine Schlacht zwischen Buh und Bravo, die unentschieden ausging.
Wieder am Mi, 1.7., Sa, 4.7., und Di, 7.7., 19 Uhr, Telefon 2185 1920