Cirque du Soleil als Traumfabrik
Es ist der Inbegriff einer globalen Ästhetik: Der Cirque du Soleil führt uns in der Olympiahalle weltweite Träume vor
Eine hat eine Glühbirne auf dem Kopf, die andere riesige Trichterohren, der Dritten wächst eine Baumkrone aus der Hose. Auf der Bühne der Olympiahalle turnen allerhand Fantasiefiguren. Die mit der Baumhose spielt sich bald mit einer Pantomime in den Vordergrund. Sie erfreut sich an den Vogelgeräuschen im Hintergrund, den Autolärm lehnt sie entschieden ab. Aber von den Zumutungen des modernen Alltags wird dann nichts mehr zu sehen und zu hören sein – wir sind ja beim Cirque du Soleil.
Es ist die Kunst der globalen Schönheit und des Staunens
Das kanadische Großunternehmen ist mit „Varekai“ auf Europatour. Noch bis Sonntag ist die Show in der etwas verkleinerten Olympiahalle zu sehen. Zur Eröffnung war diese gut besucht, wenn auch nicht ganz ausverkauft. Der Cirque du Soleil lädt hier in eine Traumwelt ein, doch wer schon bei den Auftaktnummern darin versunken sein sollte, wird nach zehn Minuten noch mal herausgerissen. Das Bühnenlicht geht aus, und ein grüner Laserpunkt – vermutlich der Bruder von Zini aus „Spaß am Dienstag“ – begrüßt das Publikum. Er bedankt sich zugleich bei den Sponsoren der Show und bittet die Zuschauer, im Fall einer Notsituation die Ruhe zu bewahren. Huch, jetzt aber mal schnell zurück in die Traumwelt.
Und schon schlagen die Fantasiefiguren wieder Räder, werfen sich gegenseitig quer über die Bühne, eine schwebt mit riesigen Federarmen daher. „Varekai“ hat noch nicht mal im Ansatz eine Handlung, und genau das ist Programm: Es geht auf der Bühne eben zu wie im Traum, ohne Kausalität und Logik. Tanz, Akrobatik und Farbenspiel verschmelzen.
Immer wieder geht das Treiben nahtlos in artistische Nummern über: Die Japanerin Arisa Tanaka wirbelt Stäbe durch die Luft – mit Händen, Ellbogen oder Füßen. Wenn’s gerade passt, legt sie dazu noch ein paar Flickflacks auf die Bühne. Als sie diese verlässt, schwebt schon die nächste Gummifrau von der Decke, Kerren McKeeman übernimmt mit einer Trapezshow.
Zu all dem spielt eine siebenköpfige Band einen Stilmix, meist aber eine Art nordafrikanischen Wüstenrock, mit Slap-Bass, druckvollem Schlagzeug, flächigen Synthies, treibender E-Gitarre und flirrender Geige. Sängerin und Sänger singen dazu, passend zum Bühnengeschehen, orientalisch angehauchte Melodien in einer Fantasiesprache.
Michael Jackson? Nein, Elvis! Oder doch Jacques Brel
Dann steht plötzlich ein weißer Sänger auf der Bühne, in blauem 70er-Jahre-Anzug samt Schlaghose. „Michael Jackson!“, ruft die Zuschauerin aus der hinteren Reihe begeistert. „Elvis Presley!“, korrigiert ihre Begleiterin nach längerer Denkpause. Dann beginnt der französische Chanson. Stephen Bishop singt Jacques Brels „Ne me quitte pas“, und seine Verlassensangst bezieht sich auf den Bühnenspot: Der untreue Lichtkegel macht sich immer wieder aus dem Staub, der Sänger versucht verzweifelt, zurück ins Rampenlicht zu gelangen, selbstredend vergeblich.
Bei „Varekai“ geht es weniger um Einzelleistungen von Clowns und Artisten als um die Gesamtkomposition, das Ineinanderfließen aller Nummern. Während man im gewöhnlichen Zirkus minütlich mit Todesopfern rechnet, zittert man bei dieser Produktion nicht mit den Artisten. Denn die Inszenierung zielt nicht auf Nervenkitzel, sondern auf Bildspektakel: Analoges Hollywood, ganz ohne Special Effects. Bis zur letzten Nummer, der spektakulären Flugshow „Russian Swings“: Da wirbeln russische Schaukeln die Künstler – orangefarbige Irokesen – kreuz und quer durch die Luft. Und bei diesem Höhepunkt des Programms halten die Gäste doch mal die Luft an. Dann verabschieden sie die Künstler mit zufriedenem Applaus.
bis 6.12., Olympiahalle, 50 - 95 Euro