Christian Thielemann dirigiert Verdis "Otello" - die AZ-Kritik
Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden eröffnen mit Verdis "Otello" die Salzburger Osterfestspiele
Schade, dass er so wenig Verdi macht. Dabei kann er es - fast besser als Wagner, wo er dazu neigt, auf schöne Stellen zu warten. Den „Otello“ dirigiert Christian Thielemann zur Eröffnung der Salzburger Osterfestspiele glühend und genau nuanciert, aber nie überhitzt. Und ohne jede traditionelle Kürzung. So wie man es sich wünscht, aber nur selten zu hören bekommt.
Der dunkle Klang der Staatskapelle Dresden harmoniert mit der besonderen Grundton dieser Musik. Der Sturm tobt mit schneidendem Blech apokalyptisch. Die Tempi sind schnell, aber nicht zirkushaft effektvoll. Thielemann inszeniert ein italienisches Musikdrama. Er betont das Abgründige, funkelnd Böse - etwa im Trinklied Jagos, wo die vier Fagotte ihren großen Auftritt haben.
Das große Ensemble nach Otellos Wutausbruch erklingt vollständig. Im vierten Akt nimmt Thielemann das Tempo zurück: Was sich im Schlafgemach zwischen Otello und Desdemona abspielt, ist mehr ein Verlöschen. Diese Verweigerung vordergründiger Theatralik hinterlässt einen starken Eindruck.
Otello ohne Otello
Leider verlor Thielemann im Vorfeld der Aufführung zwei Protagonisten. Erst musste der an einem Hirntumor erkrankte Dmitri Hvorostovsky den Jago absagen. Auch Johan Botha, derzeit der beste, wenn nicht gar der einzige gute Otello, wurde krank. Ihn vertrat José Cura, der von Opernhäusern inzwischen eher als Regisseur denn als Tenor gebucht wird. Er singt die Titelrolle akzeptabel, aber glanzlos und im Detail ungenau. Die großen Monologe sind ausdrucksschwach, ehe die Schlussszene ein wenig versöhnt.
Carlos Àlvarez ist das Jago dagegen schwer zu überbieten: Sein kernige, dunkler Bariton hat an Fülle gewonnen. Dorothea Röschmann bleibt als Desdemona ein Experiment. Das reife Timbre passt nicht zur Rolle, die schleifende Tongebung ist auch nicht gerade schön. Doch zuletzt, im Lied von der Weide und beim Ave Maria geht die Sängerin exzessiv aus sich heraus. Ihre Manierismen streifen die Grenze zum schlechten Geschmack. Aber ist auf eine sehr persönliche Weise ergreifend.
Wenn der Dirigent das Orchester so deutlich sprechen lässt, braucht es kein Regietheater. Man darf im Großen Festspielhaus opulente Kostüme des Modeschöpfers Christian Lacroix bewundern. Das Taschentuch fungiert von der Sturmszene an ein optisches Leitmotiv. Otello ist weder Mohr noch Nordafrikaner. Seine Gefühl von Minderwertigkeit erwächst allein aus dem Altersunterschied zum vermeintlichen Rivalen Cassio.
Das ist plausibel. Aber die Inszenierung von Vincent Boussard ergeht sich auch in französischer Geschmäcklerei. Immer wieder erscheint ein schwarzer Engel, dessen Flügel vor Otellos Monolog „Dio! mi potevi“ verbrennen. Desdemona wird auch nicht im Bett erwürgt. Sie oder ihre Seele geht Ibsens Nora durch die Tür hinaus. Es passt, immerhin, zum zurückhaltenden Ansatz des Dirigenten.
Auch kleinere Rollen wie Cassio und Lodovico sind mit Benjamin Bernheim und Georg Zeppenfeld festspielwürdig besetzt. Aber das Drama findet eindeutig im Graben des Großen Festspielhauses statt. Man muss große Namen wie Carlos Kleiber oder Herbert von Karajan aufrufen, um den Rang dieser Verdi-Aufführung zu ermessen. Das Publikum kannte keine Gnade:
Thielemann und das Orchester wurden bejubelt, für José Cura und Dorothea Röschmann gab es unüberhörbare Buhs.
Noch einmal am 27. März, 17 Uhr. 3sat sendet am 28. März um 20.15 Uhr die Aufzeichnung der Premiere
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