Christian Thielemann dirgiert "Tristan und Isolde"

Katharina Wagners Inszenierung von "Tristan und Isolde" leicht umbesetzt auf dem Grünen Hügel
BAYREUTH - War sie’s wirklich? In Tristans Fieberwahn erscheinen am Ende so viele Isolden, dass man auch Katharina Wagner leicht für eine Halluzination halten konnte. Dann flog aber die blonde Mähne wieder mal ruckartig kopfüber – es konnte also nur die scheue Festspielchefin sein, die sich nach exzessivem Zögern doch noch der buhenden Meute stellte.
Kurios ist das schon. Zum einen, weil es für eine Hügel-Prinzipalin kein Luxus wäre, Präsenz zu zeigen. Erst recht, nachdem sich das Festspielhaus in diesem Sommer zur bestens bewachten Gralsburg verwandelt hat und das Publikum vor allem beim vermeintlich islamkritischen „Parsifal“ gefilzt wird wie sonst am Flughafen. Zum anderen, weil Katharina Wagner im letzten Jahr noch für ihren „Tristan“ gefeiert wurde. Die Regie ist jedenfalls nicht schlechter geworden. Aber auch keinen Deut besser. Die entscheidenden Passagen geraten oft unfreiwillig komisch, bei einem Liebesdrama ist das fatal. Das beginnt schon damit, dass sich Isolde und Tristan im Metall-Labyrinth des ersten Aufzugs (Bühne: Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert) ein schepperndes Katz- und Mausspiel liefern, weil dauernd irgendwelche Schranken, Brücken oder Aufzüge hoch- und niederfahren. Achtung: verbotene Liebe! Wenn die beiden endlich aufeinander knallen und der Zaubertrank ins Spiel kommt, schwanken sie albern zwischen „geht’s ohne?“ oder „kippen wir besser doch den Flachmann?“.
Zuviel kann tödlich sein
Besonders amüsant gerät auch jedes Mal das muntere Mullbinden-Reißen, mit dem Fleddern eines Brautschleiers ist halt so manche szenische Leere zu füllen. Und dann sind da noch diese peinlichen Suizidversuche vor zwei aufgeklappten Radständern: vom Anritzen der Pulsadern bis zum fadendünnen Strick, mit dem das hohe Paar leider ausschaut, wie schnell an die Hundeleine genommen.
Im „Tristan“ passiert eben nicht viel, da kann ein Zuviel allerdings auch tödlich sein. Dabei war es gar keine schlechte Idee, den zweiten Aufzug in einen Hochsicherheitstrakt zu verlegen. „O dieses Licht“ erhält in den gleißenden Suchstrahlern von König Markes Schergen eine ausnehmend infame Konnotation. Nur geht die unterkühlte Mission am Ende nicht wirklich auf und ist ganz nebenbei von zu vielen handwerklichen Fehlern begleitet.
Das hat noch gar nichts damit zu tun, dass der ausdauernde Stephen Gould in der Titelrolle wie ein sympathischer Teddy über die Bühne wankt – und das meistens ohne hörbare Anstrengung. Ein paar Farben mehr dürften es schon sein. Doch ein aus dem Koma erwachter Patient, der binnen Sekunden zum Bühnenhaudrauf mutiert, erinnert an Comic-Figuren, die jeden Vorschlaghammer überleben.
Ein Fels in der Brandung
Petra Lang, die in Christoph Marthalers Bayreuther Inszenierung noch die Brangäne sang, hat sich eine Etage weiter nach oben zur Isolde gehievt, das muss man mögen. Je nach Situation dominiert in ihrer Stimme mal die Gouvernante, mal die Ortrud. Das tut der irischen Maid nicht gut, zumal in den hysterisch schneidenden Höhen. In ihrem Element ist dagegen die für Christa Mayer eingesprungene Claudia Mahnke. Herrlich entspannt schleudert sie die Brangänen-Warnrufe aus dem Off und kann im finalen Reigen um den toten Helden mühelos zur Emphase ausholen.
Auch auf den Kurwenal von Iain Paterson kann sich nicht nur sein Dienstherr verlassen. Der wahre Fels in der Bayreuther Brandung ist dann aber der alle und alles überragende Georg Zeppenfeld. Nach Gurnemanz und Hunding treibt dieser Marke jedem Gesangslehrer die Freudentränen in die Augen. Dem Publikum sowieso. Dabei hat ihn Katharina Wagner in seiner neidgelben Mafioso-Kluft zum größten aller Kotzbrocken verdammt. Denn Isolde darf nicht einmal sterben, rüde wird sie abgeführt in den Eheknast. Ein interessanter Schluss, wenngleich er mit der Partitur gar nicht zusammengeht.
Doch in dieser Mesalliance macht der „Tristan“ wenigstens keine Ausnahme im Spielplan. Dafür zieht Christian Thielemann alle Register der Wagner-Kunst, lässt das düstere Spiel mächtig aufleuchten, glimmen, flirren. Jede kleinste Phrase ist mit eigenem Ausdruck gefüllt Aus seinem willigen Orchester kann er alles herausholen, was dieses Liebesdrama braucht: die Überwältigung des Klangs und das zarte Innehalten, das Zögern und die grenzenlose Leidenschaft. Schlicht: die Emotionen, die oben im unheimlichen Dasein zwischen Traum und Realität meist auf der Strecke bleiben.