Christian Stückl über "Julius Cäsar" im Passionstheater: "Am Ende liegen fast alle tot auf der Bühne"

Neun Monate, nachdem in Oberammergau die letzte Vorstellung der Passionsspiele 2022 gespielt wurde, geht es wieder los im Passionstheater: Christian Stückl inszeniert William Shakespeares Umsturzdrama "Julius Cäsar". Ohne Sandalen, aber mit jeder Menge Bezug zum Heute. Markus Zwink hat dazu eine Musik für Chor und Orchester komponiert, Stefan Hageneier die Kostüme entworfen.
250 Mitwirkende auf der Bühne, im Chor und Orchestergraben werden bei den acht Vorstellungen spielen. Ein Gespräch mit Christian Stückl über die Stimmung in Oberammergau, über alte und neue Tyrannen und die Verwundbarkeit der Demokratie.
"Julias Cäsar" im Passionstheater Oberammergau: "Da braucht man etwas Größeres"
AZ: Herr Stückl, die Passionsspiele in Oberammergau sind Anfang Oktober zu Ende gegangen. Sie waren kräftezehrender als üblich, weil sie wegen Corona um zwei Jahre verschoben werden mussten und die Umplanungen alle im Ort viel Energie gekostet haben. Wie ist die Stimmung im Passionstheater?
CHRISTIAN STÜCKL: Ich habe schon gemerkt, dass viele jetzt Dinge zu Ende bringen wollen und müssen: ihr Studium, ihre Masterarbeit… Darum habe ich einige Absagen bekommen, als ich die Besetzung gemacht habe. Aber das ist ja immer auch eine Chance für andere. Jetzt bei den Proben ist die Stimmung im Theater sehr gut. Ich habe auf der Bühne viele junge Leute, die auch bei der Passion mitgemacht haben. Die sind alle mit großem Eifer dabei, hängen sich voll rein und wollen das unbedingt.

Warum haben Sie sich für Shakespeares "Julius Cäsar" entschieden?
Das hat zwei Gründe: Zum einen habe ich im Passionstheater einfach diese große Bühne, die ich mit einem großen Stoff füllen muss. Wir haben gemerkt, so ein kleineres Ibsen-Stück wie "Kaiser und Galiläer" funktioniert da einfach nicht. Da braucht man was Größeres. Auf der anderen Seite merken wir gerade jeden Tag, wie nah wir an diesem Cäsar dran sind. Überall um uns herum steht die Demokratie in Frage, und Despoten kommen an die Regierung.
Christian Stückl: "Cäsar ist Trump, Putin oder Erdogan sehr ähnlich"
Das Stück spielt nach dem Bürgerkrieg, Cäsar kehrt siegreich nach Rom zurück. Marc Anton bietet ihm die Königskrone an, doch Cäsar lehnt ab. Warum tut er das?
Historisch gesehen ist das ganz schwierig zu beschreiben. Rom war zu dieser Zeit Republik. Brutus hat gesagt, er verteidigt diese Republik bis zum Letzten. Cäsar wusste genau: Wenn er die Königskrone annimmt, wird es einen Eklat geben. Deswegen hat er erstmal verzichtet. Aber er tut das bei Shakespeare widerwillig. Man merkt, er würde sie gerne haben, trotzdem weist er sie dreimal zurück.
Damit er zumindest offiziell keinen Anspruch auf die Alleinherrschaft erhebt.
Aber die Macht hat er trotzdem immer mehr an sich gezogen. Da sind wir mittendrin im Jetzt, bei all den Populisten, die um uns herum unter dem Deckmantel der Legalität die Macht an sich reißen. Wir haben uns deshalb auch entschieden, kein Sandalenstück zu machen, sondern die Geschichte ins Heute zu ziehen. Ob es Trump, Putin oder Erdogan ist: Dieser Cäsar ist ihnen allen sehr ähnlich.
Wenn Sie das Stück ins Heute holen, gibt es dann auch größere Änderungen am Text?
Grundsätzlich bleiben wir sehr nah am Original. Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, welche Waffen heute realistisch sind. Ein Messer-Attentat ist auch heute denkbar, aber danach wird wohl zu anderen Waffen gegriffen. Außerdem muss ich halt immer schauen: Wie krieg ich diesen komplexen Text in die Münder der Laien? Das ist eine Sprache, die die nicht kennen. Da ist es erstmal die wichtigste Aufgabe, diesen Text für sie sprechbar zu machen.
Revolution nach dem Cäsar-Mord: "Hinterher zerfällt alles"
Bei Shakespeare wird der Tyrann Cäsar ziemlich früh ermordet. Ein Großteil des Stücks handelt von dem Chaos, das auf das Machtvakuum folgt.
Wir haben uns bei jeder einzelnen Figur gefragt: Was ist ihre Motivation für den Tyrannenmord? Wenn man das genau liest, geht es Brutus vor allem um das Aufrechthalten der Demokratie in der damaligen Zeit. Das war natürlich keine Demokratie im heutigen Sinne, aber es ging eben darum, dass es keinen Alleinherrscher gibt. Cassius hingegen sieht eher den sozialen Aspekt, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr aufgeht. Die haben alle unterschiedliche Beweggründe für diesen Mord.

Aber keinen wirklichen Plan für das Danach.
Genau. Wenn die Revolution nicht gut abgesprochen ist, zerfällt hinterher alles. Da ist kein Halt. Brutus und Cassius haben sich zu wenig abgesprochen, wie es nach dem Tyrannenmord weitergeht, darum können neue Despoten groß werden. Ich habe das Gefühl, wir sind da völlig drin in der jetzigen Zeit.
Wir haben einige Filme angeschaut, auch über Stauffenberg und sein Hitler-Attentat: Auch da hat es nicht funktioniert, die Regierung an sich zu reißen. Der Tyrannenmord als einzelne Aktion reicht eben nicht. Man braucht einen Plan für das Danach. Im Stück jedenfalls geht es ziemlich katastrophal aus: Am Ende liegen fast alle tot auf der Bühne. Und es hat auch nicht lange gedauert, bis Octavian als Kaiser Augustus eine Alleinherrschaft etabliert hat. Genau das, was die Attentäter verhindern wollten, ist eingetreten.
Shakespeare-Stück im Passionstheater: "Solche Typen setzen sich immer wieder durch"
Brutus sagt später einmal über Cäsar: "Dein Geist geht um, er ist's, der unsre Schwerter in unsre eignen Eingeweide kehrt." Das System der Tyrannei und die Denkweise Cäsars konnten die Attentäter nicht ausrotten.
Brutus ahnt das im Grunde bereits bei der Planung. Schon da sagt er: "Könnten wir den Geist Cäsars getrennt von seinem Leib töten." Es geht ihm mehr um die Idee der Tyrannei als den Tyrannen selbst. Weil das nun mal nicht möglich ist, muss Cäsar sterben. Aber, wie Brutus sagt: Der Geist des Tyrannen gibt keine Ruh, er kommt immer wieder hoch.

Die Geschichte wiederholt sich auf ernüchternde Weise. Wenn man nach dem Zweiten Weltkrieg gedacht hatte, man hätte die Kleinstaaterei überwunden durch ein vereintes Europa, fangen heute doch wieder an allen Enden Anti-Demokraten an, ihr eigenes kleines Süppchen zu kochen, nach Autonomie zu streben und das große Ganze zu untergraben.
Solche Typen wie Trump oder Putin setzen sich einfach immer wieder durch. Da ist kein System gefeit davor, dass solche Figuren wieder hochkommen. Was erwarten sich denn die Türken von einem Erdogan? Was für eine Stärke versprechen sie sich von einem wie ihm?
Theatersommer in Oberammergau: Eine Talentschmiede für die Passionsspiele
Auf das Volk im Stück ist auch kein Verlass, es ist sehr wankelmütig. Erst bejubelt es Cäsar, dann den Umsturz…
Das beschreibt Shakespeare sehr treffend. Das Volk als Ganzes ist hier fast untauglich. Aber wenn die AfD in Umfragen auf 18 Prozent kommt, fragt man sich doch auch bei uns, ob das Volk überhaupt tauglich ist, eine Demokratie aufrechtzuerhalten.
Der Theatersommer in Oberammergau ist seit 2005 eine schöne Tradition geworden. Wollen Sie diese jetzt nach der Corona-Pause wieder regelmäßig – also jährlich – fortführen?
Das kann ich nicht alleine entscheiden. Aber von mir aus natürlich: Ich würde diese schöne Tradition, die ja auch eine Talentschmiede für die Passionsspiele ist, sehr gerne weiterführen. Und ich will auch gerne 2030 noch einmal die Passion leiten.
"Julius Cäsar" am 1., 2., 14., 15., 21. und 22. Juli sowie am 4. und 5. August im Passionstheater Oberammergau, Bus ab München ZOB, Karten und Infos: www.passionstheater.de