Christian Stückl über die "Möwe"

Das Stück fiel bei der Uraufführung 1896 in Petersburg erst einmal durch. Zwei Jahre später nahm sich der Theatererneuerer Konstantin Stanislawski der „Möwe“ mit bahnbrechendem Erfolg an. Antons Tschechows frühes Werk hat auf deutschen Spielplänen nicht die gleiche Bedeutung wie „Der Kirschgarten“ oder die „Drei Schwestern“. Aber mit dem Diskurs um die Zukunft des Sprechtheaters gewinnen die Vorgänge im Gut der Schauspielerin Irina Arkadina an Brisanz. Ihr Sohn Kostja ist ein junger Dichter und Regisseur, der um „neue Formen“ ringt und dafür ausgelacht wird. Christian Stückl, Intendant des Volkstheaters, inszeniert „Die Möwe“. Heute ist Premiere.
AZ: Herr Stückl, wie die meisten der eher melancholischen Tschechow-Stücke ist auch dieses eine Komödie. Wie lustig wird es bei Ihnen?
Christian Stückl: Unser Leben ist manchmal so tragisch, dass man schon wieder darüber lachen muss. Ich bin in einem Wirtshaus aufgewachsen und habe als Jugendlicher wahnsinnig gerne gekellnert. In so einem Lokal erlebt man unglaubliche Geschichten. Manchmal spielten sich am Tisch richtige Tragödien ab, aber selbst musste man darüber lachen. Aber natürlich arbeite ich hier nicht auf die Lacher hin.
Sie sind ein Triebtheatermacher. Können Sie sich mit dem emphatischen Jungdramatiker Kostja im Stück identifizieren?
Natürlich. Bei den Fragen, die er aufwirft, denkt man sich: Was ist das eigentlich, was wir da treiben? Das ist eine ständige Frage. Wie weit müssen wir versuchen, etwas anders zu machen und etwas Neues zu machen. Wenn man lange genug dabei ist, fragt man sich natürlich auch: Was ist das Neue? Wo setzt das Neue an? Das Neue gibt es nicht. Es gibt ganz einfach verschiedene Erzählformen. Wenn die Regisseure in unterschiedlicher Weise mit ihren eigenen Konzepten an die Sachen herangehen, hat Vieles nebeneinander seine Berechtigung.
Die Suche nach dem Neuen geht üblicherweise von den Künstlern aus und nicht von ihrem Publikum.
In Berlin haben wir gerade die Auseinandersetzung. Der Kultursenator will etwas Neues und dann versucht man es mit Chris Dercon. Schon bevor man das ausprobiert hat schreien alle: Das wollen wir nicht sehen. Dabei hat noch niemand etwas gesehen.
Wir müssen damit gar nicht so weit weg von München.
Auch, als Kulturreferent Hans-Georg Küppers den Matthias Lilienthal an die Kammerspiele holte, hatte man das Gefühl, das wollten nur die Theaterleute und Kulturpolitiker. Die Zuschauer wollen aber Tschechow haben, wie er gemeint war. Doch wer bestimmt, was Tschechow meinte? Ich habe mir alte Fotos angesehen. Es will doch heute keiner mehr sehen, wie es bei Stanislawski war.
Zwischen den Kammerspielen und dem Residenztheater vollzieht sich gerade eine Polarisierung zwischen freien Projektentwicklungen bei Matthias Lilienthal und traditionelleren Arbeiten vom Blatt bei Martin Kusej. Wo sehen Sie Ihr Haus in diesem Spiel?
Das Schwierigste wäre, wenn wir drei uns Konkurrenz machen würden. Jeder hat sein eigenes Publikum. Es ist schwer, jemanden von den Kammerspielen ins Resi zu holen oder von dort ins Volkstheater und umgekehrt. Alleine vom Geld her kann ich mit den beiden großen Häusern nicht konkurrieren. Die Schauspielergrößen, die die dort haben, kann ich nicht bezahlen. Deshalb versuche ich ganz bewusst, mit jungen Leuten zu arbeiten. Ich bin der älteste Regisseur hier. Früher war ich mal der jüngste Intendant.
Auch Ihr Publikum ist auffällig jung.
Ich bin sicher, dass wir das jüngste Publikum haben. Ein junger Zuschauer fühlt sich von einem jungen Schauspieler ganz anders angesprochen. Ich glaube, die Zeiten, als man sich vor großen Schauspielern wie Gisela Stein oder Thomas Holtzmann verbeugte, sind vorbei. Junge Leute gehen ins Theater, wenn es ihnen Spaß macht.
Münchner Volkstheater, Premiere heute, nächste Vorstellungen morgen, 1., 6., 12., 13. November, 19.30 Uhr, Telefon 5234655