Christian Stückl macht das alte Stück brisant für heute

Christian Stückl setzt Lessings "Nathan" fein justiert am Volkstheater in Szene
Mathias Hejny |
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Der Stoff ist zu heiß für Schnickschnack, berichtet das Bühnenbild schon beim Einlass. Die Zuschauer werden drei Stunden lang auf die Eingeweide der Beleuchtungstechnik blicken. Ganz naturbelassen hat Ausstatter Stefan Hageneier die Bühne des Volkstheaters allerdings nicht hinterlassen. Der hölzerne Boden ist aufgewühlt wie eine gefrorene Woge und die Wände sind scheinbar Gemäuer aus massiven Steinblöcken: Schwer wie eine Festungsmauer und schwarz wie nach einem Brand. Mit einem Feuer im Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge beginnt „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing. Im Haus des jüdischen Kaufmanns Nathan hat es gebrannt, und der Tempelritter von Stauffen (Jakob Gessner) rettete Nathans Tochter Recha (Constanze Wächter) aus den Flammen. Der Kreuzzügler ist Gefangener des Sultans Saladin (Pascal Fligg), doch der islamische Herrscher verschont das Leben des Christen. Konrad verliebt sich in Recha. Und dann wird es kompliziert: Beide sind nicht nur Geschwister, die früh getrennt wurden, sondern auch Verwandte Saladins.

August Zirner schafft, dass man Nathan beim Verfassen der Gedanken zusehen kann

Der besseren Übersicht halber fasste Lessing die Botschaft von der Verwandtschaft der drei großen Religionen in der Ring-Parabel zusammen, an deren Ende keiner der Erben mehr sagen kann, wer den originalen Ring hat und deshalb vom verstorbenen Vater am meisten geliebt wurde. Ein unaufdringlich intelligent spielender August Zirner lässt seinem Nathan beim Verfertigen seiner Gedanken zusehen, wenn er auf die Frage Saladins, welche Religion der wahre Glaube sei, das Gleichnis erfindet. Was Lessing 1779 aufschrieb, verdreht die geopolitische Situation im Nahen Osten ins Gegenteil unserer Gegenwart. Während heute die christlichen Europäer entsetzt dem Terror fundamentalistischer Krieger aus dem islamischen Raum zusehen, waren es im 12. Jahrhundert die vom Papst persönlich radikalisierten Kreuzfahrer aus dem Abendland, die das Morgenland mit Tod und Zerstörung überzogen. Als Christian Stückl entschied, das Werk an seinem Haus zu inszenieren, zeigte sich schon die IS, der „Islamische Staat“ mit der archaischen Vorstellungswelt und der zeitgenössischen Bewaffnung. Aber erst das Auftreten der heimischen Pegida mit ihren aufklärungsfernen, von Ultrarechten geschürten Ängsten macht den „Nathan“ zu Münchens derzeit brisantester Theaterproduktion.

Allgemeine Umarmung? Gestrichen!

Stückl bleibt ganz dicht und fein justiert an der Handlung ohne plakative Aktualisierungen. Nur wenige Textänderungen präzisieren und Saladin berät sich nicht, wie bei Lessing, mit seiner Schwester Sitta, sondern mit seinem Bruder Melek (Sohel Altan G.), der gegen Juden und Christen eine härtere Gangart fordert. Melek bricht am Ende in lautes Hohngelächter über die „Märchen“ aus. Lessings Regieanweisung von „allgemeinen Umarmungen“ ist gestrichen. Statt dessen: Alle ab außer Nathan. Mit der Gelassenheit des Marlboro-Manns zündet er sich erst einmal eine Zigarette an. Weisheit macht einsam. Dunkel - und am Premierenabend lang anhaltender, herzlicher Beifall.

Münchner Volkstheater, 29., 30. Januar, 4., 10., 11., 21., 22., 28. Februar, 6., 7. März, 19.30 Uhr, Telefon 5234655

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