Christian Stückl: "Corona macht mich wahnsinnig!"

Er war schon immer ein umtriebiger Theatermacher, aber derzeit hat Christian Stückl selbst für seine Verhältnisse sehr viel zu tun. Neben der Pandemie macht dem Intendanten des Volkstheaters ein Wasserschaden im Neubau zu schaffen. Und er war mit gleich zwei Regiearbeiten beschäftigt: An den Vormittagen probte er an seiner Adaption von Juli Zehs Erfolgsroman "Über Menschen", abends war und ist er mit den Vorbereitungen für die Oberammergauer Passionsspiele 2022 beschäftigt. Immerhin: Am heutigen Freitag wird die Uraufführung von "Über Menschen" vom Stapel gelassen.
Stückl: "Wir wissen nicht, wie die nächsten Monate aussehen werden"
AZ: Herr Stückl, die Premiere von "Über Menschen" war auf den 21. Dezember angesetzt. Als klar war, dass nur 25 Prozent Auslastung in den Theatern erlaubt ist, wollten Sie den Termin solange verschieben, bis wieder vor vollem Haus gespielt werden kann. Wieso wird das Stück jetzt gespielt?
CHRISTIAN STÜCKL: Weil die Inzidenz wieder ansteigt und einfach nicht abzusehen ist, wann sich etwas ändern wird. Ich kann auch nicht noch ein, zwei, drei weitere Monate warten, weil die Premiere der Passionsspiele am 14. Mai immer näher rückt. Und wegen des Wasserschadens auf der Hauptbühne können wir "Edward II." weiterhin nicht spielen. Wir brauchen aber Stücke für die Hauptbühne! Deshalb führen wir jetzt eben doch "Über Menschen" auf, um auch unser Repertoire zu erweitern.
An 2G+ und einer erlaubten Zuschauerauslastung von 25 Prozent hat sich nichts geändert, beziehungsweise, man kann nur abwarten, was nächste Woche kommt. Resignieren Sie allmählich?
Es ist einfach wahnsinnig schwierig, unter diesen Voraussetzungen ein Haus zu führen. Wir hatten ja einen tollen Start mit dem Neubau, die Vorstellungen waren durchweg ausverkauft. Dann kam am 15. November der Wasserschaden auf der Hauptbühne, weil die Sprinkleranlage früh morgens anging, und kurz darauf der Entschluss, wegen Omikron die Auslastung der Theater auf 25 Prozent runterzufahren.
Die Meinungen zum Thema Auslastung gehen weit auseinander
Woran offenbar nicht zu rütteln ist.
Wir hatten ja ein Gespräch mit fünf Ministern. Die Meinungen, wieviel Auslastung nötig sei, gingen dabei auseinander. Serge Dorny, der Intendant der Bayerischen Staatsoper, meinte, 50 Prozent würde schon was bringen, andere meinten, es müssten mindestens zwei Drittel sein. Es blieb dann bei 25 Prozent! Uns wurde finanzielle Unterstützung versprochen, aber es geht ja nicht nur ums Geld. Du lässt am Abend ein paar Leute ins Theater rein, aber eigentlich hat man ständig das Gefühl, dass das Haus leer ist. Da die Stimmung aufrecht zu erhalten, ist kaum möglich.
Und man hört trotz Boostern doch immer wieder von Erkrankungen in den Theaterensembles.
Ja. Corona macht mich wirklich wahnsinnig. Wir hatten gerade den Fall eines Ensemblemitglieds, das positiv getestet wurde. Dann haben wir einen zweiten Test gemacht, der war dann negativ. Dann noch einen, der war wieder positiv. Es ist schwierig, in so einer Situation überhaupt irgendetwas zu planen.
Stückl: "Die Kosten im Neubau sind für alles höher"
Unterscheidet sich das Theatermachen im Neubau stark im Vergleich zum früheren Haus?
Nein, eigentlich machen wir Theater wie vorher. Aber die Dimensionen sind natürlich anders, allein schon, was die Bühnenbilder angeht. Wenn man früher einen Bühnenhorizont hatte von 10 mal 10 Metern, dann ist der jetzt doppelt so groß, also 20 mal 20, und kostet natürlich dementsprechend mehr. Die Kalkulation ist um einiges schwieriger geworden. Und zwar liegt jetzt alles in einem Haus - die technische und die kreative Abteilung sind zum Beispiel im ersten Stock -, aber dadurch, dass die gesamte Fläche des Theaters wesentlich größer geworden ist, begegnen wir uns trotzdem seltener.
Es ist also alles zusammengerückt, aber verläuft sich auch wieder.
Ja. Andererseits sind jetzt die Probebühnen nicht mehr ausgelagert, sondern auch im Haus, weshalb die Leute der verschiedenen Produktionen doch öfters in der Gastronomie essen und sich dort sehen.
Stückl: "Ich muss mehr Aktuelles machen"
Die Akustik im Hauptsaal ist offenbar auch nicht optimal. Kann da noch nachgerüstet werden?
Es gibt sicherlich noch einiges zu tun. Wir müssen und werden auch die sechs Wochen in den Sommerferien nutzen, um in einigen Bereichen nachzuarbeiten.

Sie inszenieren eigentlich eher klassische Stoffe. Wie sind Sie auf Juli Zehs Roman gekommen?
Das war ein Zufall. Das Buch lag bei meinem Vater zu Hause auf dem Tisch. Ich meinte zu ihm: "Was, du liest Juli Zeh?" Und er meinte, "Ja, unter Leuten' habe ich auch schon gelesen. Schau dir das neue Buch doch mal an". Ich habe dann in den Roman reingelesen und mich gleich angesprochen gefühlt. Und ich habe auch selbst das Gefühl, dass ich ein bisschen mehr heutige Literatur machen muss.
Stückl: "Roman als Vorlagen sind eine Herausforderung"
Das Buch handelt von einer Werbetexterin Mitte 30, Dora, die während der ersten Corona-Welle von Berlin wegzieht, nachdem sie sich von ihrem Freund, einem verbissenen Klima-Aktivisten, getrennt hat. Sie nistet sich in einem brandenburgischen Kaff ein, lernt die Dörfler, darunter einige AfDler, kennen - und ihren Nachbarn, den "Dorfnazi" Gote. Wie nah bleiben Sie an der Vorlage?
Ich bleibe schon nah dran, aber muss auch sagen, dass ich Roman-Adaptionen nicht ganz leicht finde. Ich mag nicht, wenn man aus einem Buch einfach Textstellen aufsagt; insofern habe ich versucht, alles in Dialoge umzuarbeiten. Dann kommt hinzu, dass die Autorin lebt und sich natürlich auch zu Wort meldet. Juli Zeh rief mich an und meinte zum Beispiel, dass die Mauer, die zwischen den Grundstücken steht, ganz wichtig sei. Ich habe dann gesagt, naja, so eine Mauer auf der Bühne… Dann denkt man sich, die Autorin kann jetzt nicht auch noch das Bühnenbild vorgeben. Und setzt sich über sie hinweg.
Der Neonazi Gote war zwar einerseits bei rechtsradikalen Ausschreitungen, zum Beispiel 1992 in Rostock-Lichtenhagen dabei, erweist sich aber gegenüber Dora durchaus als hilfsbereit.
Ja, aber ich wollte nicht, dass es auf die Botschaft herausläuft, dass Nazis ja auch nur Menschen sind, das fand ich schon im Roman gefährlich. Gleichzeitig ist es auch nicht richtig, einfach alles Schwarz-Weiß zu zeichnen. Letztlich treffen da zwei Menschen aufeinander, die überhaupt nicht kompatibel sind und sich dann doch annähern. Ich finde auch, dass Juli Zeh ein bisschen ums Eck mogelt, wenn nach einiger Zeit eine schwere Krankheit ins Spiel kommt. Wenn es diese Krankheit nicht gäbe…,

…würden Dora und Gote womöglich sogar ein Paar werden.
Ja, das wirkt ja fast schon so, als ob das möglich wäre.
Stückl: "Neue Ensemblemitglieder sollen sich willkommen fühlen"
Dora haben Sie mit der jungen deutsch-iranischen Schauspielerin Maral Keshavarz besetzt. Wodurch die Begegnung mit dem Neonazi noch mal stärker aufgeladen ist?
Nein, diesen Konflikt haben wir rausgelassen. Den "Migrationshintergrund" wollten wir nicht thematisieren. Maral Keshavarz ist in Teheran und Berlin groß geworden und hat etwas sehr Großstädtisches an sich, was zur Rolle einfach sehr gut passt.
Und sie ist neu im Volkstheater-Ensemble. Es fällt auf, dass Neuzugänge an Ihrem Haus recht schnell an Hauptrollen ran dürfen, was nicht unbedingt an jedem Theater der Fall ist.
Das will ich auch so. Ich will, dass neue Ensemblemitglieder sich willkommen fühlen und gleich in das große Ganze integriert werden. So hat Lorenz Hochhuth, der ebenfalls neu im Ensemble ist, vor kurzem den "Selbstmörder" gespielt, und Janek Maudrich wird demnächst den "Menschenfeind" spielen.
Was ein toller Vertrauensbeweis ist.
Ja, man stellt ja auch neue Ensemblemitglieder ein, weil man an sie glaubt.
Stückl: "Die Proben in Oberammergau sind kompliziert"
Im Dorf lernt Dora auch ein schwules Paar kennen, von denen einer meint: "Es geht nicht darum, Widersprüche aufzulösen, sondern sie auszuhalten". Was wohl ein Hauptthema des Romans ist?
Ja, wobei ich da sofort auch wieder an die Pandemie denken muss. Ich bin ein absoluter Impf-Befürworter, aber in Oberammergau gibt es durchaus Leute, die sich absolut nicht impfen lassen wollen. Auch diesen Widerspruch muss man dann letztlich aushalten.
Sie werden für die Passion aber nur unter starken Corona-Reglungen proben können, oder?
Natürlich, wir testen vor jeder Probe. Zurzeit arbeite ich sowieso nur konzentriert mit den Personen, die auf der Bühne auch Text haben. Mit den Massenszenen müssen wir noch warten, mit denen kann ich erst ab März anfangen. Ich muss meinen Probenrhythmus in Oberammergau völlig umstellen! Worauf ich mich aber gut einlassen kann. Viel schlimmer ist es, jeden Tag zur Probe zu kommen und damit rechnen zu müssen, dass jemand sagt, wir haben den nächsten Corona-Fall. Das ist die Hölle.
Kreativität und Offenheit sind essentiell
Die Hölle ist man oft auch selbst. Dora spricht vom "Kreislauf der Projekte": dass man daran gewöhnt ist, nach jedem Projekt immer gleich das nächste anzugehen, ohne Pause. Was für Sie auch zutrifft?
Tatsächlich werde ich gleich nach der Premiere in Oberammergau hier für die mittlere Bühne etwas inszenieren. Diesen "Projekt-Kreislauf" kenne ich also. Und muss schon sagen: Gestern bin ich aus der Vormittagsprobe hier am Haus Richtung Oberammergau gefahren und wäre auf der Autobahn fast eingenickt. Ich habe dann auf einen Parkplatz fünf Minuten geschlafen und bin dann erst weitergefahren. Als ich in Oberammergau ankam, hatte ich Kopfschmerzen, und sagte allen, wir kürzen die Probe heute ab. Als ich aber auf der Bühne war und es los ging, war die Müdigkeit wieder verflogen.
Und besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich beim erneuten Inszenieren der Passion wiederholen?
Nein. Selbst wenn ich hier am Haus ein Stück wieder aufnehme, denke ich mir: Was hast du denn dir da damals einfallen lassen? Wenn eine Inszenierung dann auch noch zehn Jahre zurückliegt, fängt man im Grunde von vorne an. Das war so, als wir vor zwei Jahren mit den Proben für die Passion anfingen, und ist jetzt nach der Pause wieder so. Ich habe die Fassung schon wieder nachbearbeitet, und inszeniere die Leute im Raum anders. Ich kann ja auch nicht sagen: Das war 2010 ganz toll, machen wir es doch genauso wieder. Sondern man muss sein Hirn offenhalten. Man muss immer weiterarbeiten.
Die Premiere am 21. Januar, 19.30 Uhr, ist ausverkauft.