Cecilia Bartoli: Fast zu schön
Eine Oper neu zu entdecken, die nach den sängerischen Glanztaten von Maria Callas, Joan Sutherland und Montserrat Caballé eigentlich nur noch in ihren Highlights, etwa der Arie „Casta Diva“, bei den Fans Gnade findet, das ist schon fast zu schön, um wahr zu sein: Cecilia Bartoli ist das zu Pfingsten in Salzburg auf eindringliche Weise gelungen. Da spielten kleinere stimmliche Mängel keine Rolle mehr.
Zwar benötigte die italienische Mezzosopranistin auch in der zweiten Aufführung einige Zeit, bis sie das ausufernde Vibrato ihrer Stimme unter Kontrolle gebracht hatte. Danach aber wurde Bellinis „Norma“ zum Ereignis, trotz der kolportagehaften Handlung – ein Mann zwischen zwei Frauen – und einer Musik, von der man bisher glaubte, dass sie außer schönen Melodien nur wenig zu bieten hat.
Schon 2010 wagte sich Bartoli an die Norma, konzertant in Dortmund mit dem Dirigenten Thomas Hengelbrock. Da waren Maurizio Biondi und Riccardo Minasi mit ihrer kritischen Neuedition noch am Anfang. In Salzburg ließen sich dann die erstaunlichen Endergebnisse bewundern.
Durch das auf historischen Instrumenten musizierende Barockorchester „La Scintilla“ bekommt die Musik eine federnde Leichtigkeit und Dramatik, die sich nicht aus erdenschweren Kraftakten nährt. Es ist zu spüren, wie lächerlich und falsch es war, die Ausdrucksmittel Verdis oder Puccinis auf Bellinis Belcanto zu übertragen. Dirigent Giovanni Antonini gelang es vor allem, die zahlreichen Rezitative aufzuwerten. Die ebenfalls von ihm angestrebten und auf der soeben erschienenen CD-Einspielung immer wieder hörbaren musiktheatralischen Ruppigkeiten verloren sich „live“ leider in den akustischen Nebeln des Hauses für Mozart.
Die Regisseure Moshe Leiser und Patrice Caurier hatten die Handlung im Zweiten Weltkrieg angesiedelt. Sie befanden sich in guter Gesellschaft. Auch der Librettist Felice Romani sah sich einst in einer Zeit, da Italien von den Österreichern besetzt war, zu einem Trick genötigt und verlegte deshalb das Geschehen in das von den Römern besetzte Gallien. Das Salzburger Bühnenbild (Christian Fenouillat), ein heruntergekommenes Schulgebäude, erinnerte an den filmischen Neorealismus Roberto Rossellinis. Bartoli durfte sich darin ein wenig wie Anna Magnani fühlen.
Sie tat das vor allem im zweiten Teil mit Hingabe, stimmlich sowie darstellerisch faszinierend präsent. Ihr zur Seite, nicht ganz ebenbürtig, aber überzeugend John Osborn (Pollione) und Michele Pertusi (Oroveso). Rebeca Olvera enttäuschte dagegen: So ein bedeutungsloses, armes Hascherl sollte Normas Gegenspielerin Adalgisa nun wirklich nicht sein.
Weil die Bartoli ganz nebenbei noch Chefin der Salzburger Pfingstfestspiele ist, hatte sie auch das Gastspiel des St. Petersburger Mariinski-Theaters zu verantworten. Die gute Nachricht: Valery Gergiev, Münchens designierter Philharmoniker-Boss, dirigierte drei der bedeutendsten Ballettmusiken Strawinskys. Und nur in „Les Noces“ waren weder die vier Pianisten noch Chor und Solisten in akzeptabler Form. Dafür durfte das Mariinski-Orchester in „Sacre du printemps“, aber auch beim „Feuervogel“, mit hinreißendem Nachdruck zeigen, zu welcher Energie und Klangfarbendramaturgie es fähig ist. Doch die Tanz-Ikonen aus St. Petersburg hatten sich darauf kapriziert, alle drei Stücke in der Fassung der Uraufführung zu präsentieren.
„Le Sacre“ aus dem Jahr 1913, von Millicent Hodson und Kenneth Archer nach jahrelangem Bemühen rekonstruiert, ist in seiner stampfenden, archaischen Aggression noch immer ein ansehnliches Ereignis. Trotz der reichlich antiquierten Originalkostüme trifft Nijinskys Choreografie ins Schwarze, weil sie ganz nahe an der Musik ist. Auch an das rote Tutu des Feuervogels (Alexandra Josifidi) konnte man sich rasch gewöhnen. Aber immer wieder belastet die übertrieben farbenfrohe Märchenkulisse mit Zauberwald und blassen Jungfrauen auf der Spitze die von Michel Fokine erdachten tänzerischen und pantomimischen Kabinettstückchen. Lächeln war erlaubt, wenn auch vielleicht ein wenig unhöflich.