"Carmen Assassinée" nach Bizets "Carmen" - die AZ-Kritik

„Carmen Assassinée“ nach Georges Bizets Oper als Aufführung der Theaterakademie im Prinzregententheater
von  Robert Braunmüller
Keine „Carmen“ ohne Stierkampf: Elías Benito Arranz als Escamillo in der Version der Theaterakademie von Bizets Oper.
Keine „Carmen“ ohne Stierkampf: Elías Benito Arranz als Escamillo in der Version der Theaterakademie von Bizets Oper. © Thomas Dashuber

Die Sänger betreten die Probebühne aus Packpapier. Sie machen ein paar Lockerungsübungen. Man umarmt sich. Und wundert sich über den einen oder anderen Satz aus Prosper Merimées Novelle „Carmen“. Und schon setzt Orchester mit der Ouvertüre zu Bizets Oper ein.

Bei einer Aufführung mit Studierenden ist der Weg das Ziel. Das hat Christof Nel in seinem Musiktheaterprojekt „Carmen Assassinée“ im Prinzregententheater gleich mitinszeniert. Und noch sein Unbehagen an der Oper mit draufgepackt.
Andalusien gibt es nur als Zitat. Am Ende von Escamillos Toréador-Lied formieren sich die Studierenden zu einem Stier, den der Kämpfer tötet. Alle Damen sind manchmal Carmen im roten Röckchen, oder auch Micaela in Blau.

Eine solche Auseinandersetzung mit dem Stoff mag für die Studierenden bei den Proben interessant gewesen sein. Der Rezensent geht aber als Zuschauer hin. Wer „Carmen“ schon ein paar Mal gesehen hat, der weiß: Das Flamencokleidchen ist ein Popanz. Es wurde bereits vor Jahrzehnten aus dem Machtbereich des deutschen Stadttheaters verbannt. Auch die Verschärfung Bizets mit Hilfe der Novelle war schon zur Zeit von Peter Brooks Version eine in Ehren ergraute Tradition des Regietheaters. Sie reicht die bis ins russische Theater der Zwanziger Jahre zurück.

Was im vordergründigen Sinn opernhaft ist, hat Nel gestrichen, sogar die Szene, in der Carmen Don José die Blume hinwirft. Sie ist eigentlich der Inbegriff des Stoffs. Aber der Regisseur mag sie für ein böses Rezitativ des Bearbeiters Ernest Guiraud gehalten haben.

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Für ein Projekt klebt „Carmen Assassinée“ zu eng an der Vorlage. Wie in der Theorie des Epischen Theaters treten die Darsteller immer wieder aus den Rollen heraus und zitieren Merimée. Dann folgt die gleiche Situation der Oper – machmal identisch, meistens aber leicht variiert. Dass die Darstelller beim Freiheits-Finale durch die Decke von Thomas Goerges Bühnenbild brechen, ebenso abgegriffen wie die rein dekorative Video-Projektion von Bildern und Textzitaten. Eine wirklich schöne These hat der Regisseur aber auch: Mit dem Ring, den Carmen am Ende wütend wegwirft, hat Don José ihr im zweiten Akt seine Liebe erklärt.

Nels Stärke, die stille, reduzierte Psychologie, passt bei dieser Oper vielleicht auch nicht. Wenn der Philosoph Friedrich Nietzsche diese Aufführung gesehen hätte, wäre er kaum darauf gekommen, dass diese Oper die „Liebe als Fatalität – zynisch, unschuldig, grausam“ darstellen könnte. Mit jungen Sängern wirkt die Geschichte ziemlich geheimnislos, eher wie eine Vorabendsoap. Alles ist ein bisschen egal. Und tragisch auf keinen Fall.

Nadia Steinhardt ist eine sehr untypische, kalte Carmen. Aber sie singt die Partie mit sattem Mezzo absolut rollendeckend. Ähnlich gut ist Victória Reals unsentimentale Micaela. Außerhalb einer Ausbildungsstätte würde man Tianji Lin kaum als Don José besetzen – seine Stimme ist dafür viel zu lyrisch. Und auch Elías Benito Arranz hat für Escamillos Couplet nicht die Kraft. Die beiden Sänger tun sich mit diesen Rollen keinen Gefallen.

Aber die Aufführung hat ein Pfund, das alles aufwiegt: das Münchner Rundfunkorchester unter Karsten Januschke. Der Dirigent nimmt die Musik leicht und spritzig. Das sehr hoch sitzende Orchester klingt sehr farbig, aber nie pompös und opernhaft. Eine bemerkenswerte Leistung. Denn eine gut dirigiert „Carmen“ ist noch seltener als geglückte Inszenierungen dieses zwar populären, aber auch extrem schwierigen Werks.

Wieder heute, Sa., sowie am 24. und 28. 2. im Prinzregententheater. Ein Videostream unter br-klassik.de

 

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