"Carmen" als Spiel auf dem See

Die Bregenzer Festspiele zeigen Georges Bizets „Carmen“ in einer Inszenierung von Kaspar Holten als Spiel auf dem See
Wolf-Dieter Peter |
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Bizets "Carmen" bei den Bregenzer Festspielen am Bodensee.
Karl Forster 2 Bizets "Carmen" bei den Bregenzer Festspielen am Bodensee.
Bizets "Carmen" bei den Bregenzer Festspielen am Bodensee.
Karl Forster 2 Bizets "Carmen" bei den Bregenzer Festspielen am Bodensee.

Die Bregenzer Festspiele zeigen Georges Bizets „Carmen“ in einer Inszenierung von Kaspar Holten als Spiel auf dem See

"Die Karten lügen nicht“ singt die schicksalsgläubige Carmen und auf den scheinbar durch die Luft fliegenden, großen Spielkarten der Bühnenarchitektur verschwammen Pik und Kreuz. Das war zwar Video, doch total passend: Denn trotz strömenden Regen hatten sämtliche Solisten gesagt: „Wir wollen spielen“. Die 7000 Seebühnen-Besucher saßen unter Regencapes – und blieben beeindruckt sitzen.

Zwar hörte gegen Ende der Regen auf, doch da dieses Sevilla am Bodensee liegt, ertränkte José Carmen im Wasser. Das „Spiel auf dem See“ soll ja das einzigartige Ambiente mit einbeziehen. So werfen die Hände der zwei aus dem Wasser auftauchenden Unterarme nicht nur 15 Karten in die Luft, weitere 28 liegen wirr auf dem Boden und rutschen in den See. Die vorderen Karten können abgesenkt werden und so wurde die Tarantella bei Lillas Pastia in Signe Fabricius’ Choreografie zu einem rhythmisch genauen, lebensfroh überschäumenden Spritz-Ballett – Szenenbeifall.

Bühnenbildnerin Es Devlin arbeitete bei aller Größe auch werknah: der eine Arm hat eine Narbe, der andere ein Blumen-Tattoo; der rote Nagellack der großen Finger ist teils abgeblättert und da Carmen in der Tabakfabrik arbeitet, hält ihre linke Hand die unvermeidliche Zigarette, deren Spitze im Abendhimmel glüht.

Leichtfüßiger Tanz zum Tod

Luke Halls präzise Video-Projektionen auf die Karten wechseln dramaturgisch: Zu Herz-Dame Carmen kommt der Caro-Bube José; in der Schenke wirbeln zum Rhythmus der Musik alle roten Blätter; mit Escamillo kommen ein Pik-Ass und schwarze Karten ins Spiel der Leidenschaften; im Schmuggler-Bild wechselt alles in verfließendes Schwarz und die Oberkanten wirken wie Bergsilhouetten; am Schluss verschwimmen die bunten Sevilla- und Stierkampf-Postkarten trübe.

In dieser vielfältig wirkenden Spiellandschaft erzählt Regisseur Kasper Holten die Handlung für ein auch opernfernes Publikum gradlinig und setzt für Kenner ein paar eigene Akzente. Carmen beobachtet Josés und Micaëlas zart-liebevolle Begegnung und fühlt sich herausgefordert. Micaëla sieht Carmens raffinierte Verführung, ja sie beschwört die überlegene Rivalin später, José zur sterbenden Mutter gehen zu lassen.

Unaufgesetzt verführerisch

Holten zeigt mehrfach Josés Affekt-Intoleranz: erst unkontrolliert zuschlagen, dann zutiefst zerknirscht um Verzeihung bitten. All das gipfelt in einer Schlussszene, in der Carmen und José immer tiefer im Wasser versinken und er sie schließlich gewaltsam ertränkt. All das interpretierte Paolo Carignani mit den Wiener Symphonikern in flüssigen Tempi, im heiklen Schmuggler-Quintett sogar leichtfüßig. Die Dialoge der Opéra-comique-Fassung waren auf wenige Sätze eingekürzt, so dass sich in pausenlosen zwei Stunden ein unaufhaltsamer Tanz zum Tod hin einstellte. Mit dem strömenden Regen kamen die männlichen Solisten weniger gut zurecht.

Auch die angestrengt klingenden Frasquita und Mercédès wurden von Elena Tsagallovas Micaëla überstrahlt: ihr Gebet im Schmugglergebirge sang sie in der linken Handfläche 20 Meter über dem See anrührend. Doch der Abend gehörte der Carmen von Gaëlle Arquez: bildschön, unaufgesetzt verführerisch, mit herrlichen Mezzo-Tönen betörend – und so spielfreudig, dass sie sich ohne Double – aber mit einer unsichtbar kleinen Sauerstoffmaske – tödlich lange von José unter Wasser drücken ließ. Bizets „Carmen“ erwies als regenresistent und musikdramatisch unsterblich.

Bis 20. August, alle Vorstellungen sind bereits ausverkauft, Infos: www.bregenzerfestspiele.com

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