"Capriccio" im Prinzregententheater: Flucht aus der Wirklichkeit

München - Ob die Pause, die in dieser neuen Produktion von "Capriccio" nach der siebten Szene eingelegt wird, im Sinne des Komponisten ist, kann man nicht genau sagen.
Eingeführt wurde dieser posthume Brauch 1957 von Rudolf Hartmann, der auch die Uraufführung inszeniert hatte: Richard Strauss selbst führte sein "Konversationsstück" als Einakter. Hartmann aber berief sich darauf, dass der Dirigent und Mit-Librettist Clemens Krauss bloß wegen der Luftangriffe auf München, die zur Entstehungszeit um 1940 erfolgten, entschieden hatte, "Capriccio" ohne Unterbrechung zu spielen.
"Capriccio"-Neuinszenierung: Regisseur Marton schlägt sich auf die ästhetisierende Seite des Stücks
Pause oder nicht Pause, sei's drum. Was die Gemüter an dieser Oper seit jeher viel mehr erregt, ist die Frage, wie Strauss ein höchst artifizielles und somit ganz unpolitisches Spiel im Spiel als seine letzte Oper präsentieren konnte, während um ihn herum buchstäblich die Bomben niedergingen. Es handelt sich hier wohl letztlich um den Eskapismus eines Endsiebzigers, der denn auch von vielen Inszenierungen konterkariert wurde: Man spielte etwa über Lautsprecher Fliegerangriffe ein oder ließ die Protagonisten in Gestapo-Uniform aufmarschieren.
In dieser neun Jahre alten, aus Lyon übernommenen Inszenierung blendet der Regisseur David Marton, der als Theatermusiker begann und in der Ära Lilienthal einige Musikprojekte an den Kammerspielen inszenierte, den historischen Kontext fast vollständig aus, sieht man einmal von ein paar Kriegsflüchtlingen ab, die nach der Pause neben dem Hauptgeschehen in arg stilisierten Trippelschritten auf der Stelle treten müssen.
Ansonsten schlägt sich Marton ganz auf die ästhetisierende Seite des Stücks - was man auch als Kritik an dessen Flucht vor der kriegerischen Wirklichkeit verstehen kann. Soll man vielleicht sogar den Hauch eines schlechten Gewissens spüren, wenn man am Anfang das herrlich weich gespielte Streichsextett genießt, noch dazu bei geschlossenem Vorhang, ohne ablenkenden Aktionismus der Regie?

Wenn die Bühne des Prinzregententheaters enthüllt wird, scheint das Publikum auf sich selbst zu blicken: Man sieht den Zuschauerraum eines kleinen Theaters, aber im Querschnitt ohne vierte Wand, wie in einen Guckkasten hinein (Bühne: Christian Friedländer). Darin tummeln sich junge, dekorative, von Kriegssorgen unberührte Menschen (Kostüme: Pola Kardum).
So ganz kann es sich Marton aber dann doch nicht verkneifen, seine Duftmarke als Regisseur zu hinterlassen. Da kommen die Pausen ins Spiel. Einige Male wird der musikalische Fluss für lange Momente unterbrochen, wie um innehaltend nachzudenken (oder zu hören, ob in der Ferne nicht doch Granaten explodieren).
Die willkürlichen Haltestellen können auch nerven
Mal passt das ganz gut, wenn etwa Diana Damrau lächelnd die Einsamkeit des leeren Theaters genießt. Ihr Sopran hat mittlerweile alle soubrettenhafte Enge verloren, nicht aber die Leichtigkeit, ihre stimmlich hübsche, schauspielerisch witzige Gräfin wird wie von selbst zum Mittelpunkt des Ensembles. Die willkürlichen Haltestellen können aber auch nerven, wenn etwa der Wutausbruch des Theaterdirektors La Roche auf seinem Höhepunkt abreißen muss, zumal Kristinn Sigmundsson dazu neigt, in bassistischer Gediegenheit zu erstarren.
Die Tugend deutlicher Aussprache: Nicht alle Sänger liefern in diesem Punkt
Liegt es an den inszenatorischen Bremsmanövern, wenn das Bayerische Staatsorchester kaum einmal so richtig in Fahrt kommt? Lothar Koenigs lässt die in den dreidimensionalen Raum greifende Gestik der Partitur unangetastet, pflegt aber ein gesangliches Legato und ein sängerfreundliches Piano. Deshalb überrascht es, wenn es Sigmundsson, Pavol Breslik als Flamand und Tanja Ariane Baumgartner als Schauspielerin Clairon mit ihren beeindruckenden Stimmen nicht immer gelingt, auch den Text verständlich zu machen.
Beim prägnant artikulierenden Vito Priante als Olivier und dem verführerischen, fast heldisch tönenden Michael Nagy als Graf erfasst man hingegen jedes Wort. Für ein Stück, das sich ganz in die Welt der Musik zurückgezogen hat, während in der Realität die Bomben fallen, ist die Tugend deutlicher Aussprache wichtiger denn je.
Wieder am 20., 25., 27. Juli um 19 Uhr sowie am 23. Juli um 18 Uhr im Prinzregententheater, Karten unter Telefon 089-21851920 und staatsoper.de