Interview

40 Jahre MünchenMusik: Von der Kammermusik bis zu Salvador Dalí

Ein Gespräch über die Gegenwart und die Zukunft von Konzerten - und die Bespielung der Philharmonie
von  Robert Braunmüller
Andreas Schessl, Dea von Zychlinski-Schessl und Nepomuk Schessl.
Andreas Schessl, Dea von Zychlinski-Schessl und Nepomuk Schessl. © Marris Mac Matzen

Im Frühjahr wird MünchenMusik 40 Jahre alt. Andreas Schessl führt das Familienunternehmen mit seiner Frau Dea von Zychlinski-Schessl und dem gemeinsamen Sohn Nepomuk Schessl. Der Veranstalter ist auch an der Fat Cat beteiligt, eine gemeinnützige GmbH für die Zwischennutzung des Gasteig. Auf diese Weise kehrt MünchenMusik in die derzeit eigentlich geschlossene Philharmonie zurück: vor Weihnachten mit Ballett und im neuen Jahr mit einer Ausstellung.

AZ: Herr Schessl, wir sitzen hier auf der Bühne der Philharmonie. Welche Gefühle löst das bei Ihnen aus?

ANDREAS SCHESSL: Die Philharmonie ist für uns auch ein nostalgischer Ort. Hier haben wir Anfang der 1990er Jahre in Zusammenarbeit mit dem Gasteig die ersten größeren Konzerte veranstaltet: die Reihe "Vocalissimo" mit Gesangsstars. Und ich freue mich auch über die jüngsten positiven Signale zur Zukunft des Gasteig, denn die Philharmonie ist als zentral gelegener Ort im Herzen Münchens ideal für Veranstaltungen.

Wie wird denn die Zwischennutzung der Philharmonie aussehen?

NEPOMUK SCHESSL: Sie ist ein besonderer Ort. Die Fat Cat hat bisher eher kleinere Räume im Gasteig genutzt - als Probenräume, Ateliers und für Michael Mittermeiers "Lucky Punch Comedy Club", in dem vor allem Nachwuchscomedians auftreten. Die Philharmonie hat allein durch den erforderlichen Personalaufwand eine eigene Komplexität. Daher hat es eine Weile gedauert, bis wir eine Nutzung gefunden haben.

Zuerst kommt nun der "Nussknacker".

NEPOMUK SCHESSL: Das Ballett spielen wir Mitte Dezember. Im Februar folgt eine Ausstellung über Salvador Dalí. Der Surrealist hat 1945 die Traumsequenz in Alfred Hitchcocks Film "Spellbound" mit Ingrid Bergman und Gregory Peck ausgestattet. Dafür schuf Dalí ein 55 Quadratmeter großes Gemälde, das wegen der vielen abgebildeten Augen eine besondere Ausstrahlung hat. Dieses Gemälde steht im Zentrum der multisensorischen Ausstellung. Dazu gibt es Skulpturen und Skizzen, ergänzt durch ein VR-Erlebnis, das den Traum als Verschmelzung von original und digital erlebbar und betretbar macht.

Kunstexperten rümpfen über immersive Ausstellungen ein wenig die Nase.

ANDREAS SCHESSL: Damit stoßen wir in eine Lücke: die niederschwellige Kunstvermittlung. Unsere Ausstellungen setzen kein Vorwissen voraus. Insofern verstehe ich sie als eine Brücke ins Museum, nicht als Alternative zu klassischen Ausstellungen, die im Übrigen inzwischen vergleichbare Techniken auch einsetzen, wenn auch in kleinerem Umfang.
DEA SCHESSL: Diese Ausstellungen richten sich an ein anderes Publikum. Es kommen viele jüngere Besucher und Familien. Erwachsene und Kinder hören der Musik entspannt zu. Das ist ein Erlebnis, das im Museum nicht ohne weiteres möglich ist.

Lassen sich solche Erfahrungen auch auf Konzerte übertragen?

DEA SCHESSL: Ich denke schon. Gerade Konzerte mit Filmmusik sprechen jüngere Leute an. Das ist cool und schick.
ANDREAS SCHESSL: Ich veranstalte jetzt seit 40 Jahren, und es macht mir noch immer Spaß. Das hat auch damit zu tun, dass wir immer versuchen, Neues zu erkunden. Wenn ich 40 Jahre ausschließlich Kammermusik veranstaltet hätte - die im Übrigen meine große Liebe ist - würde es womöglich weniger Freude machen. Mir ging es immer darum, dem Publikum auch Anregungen zu geben. Die Entwicklung geht weiter. Der Konzertbetrieb ist bunter und vielfältiger geworden. Und wir sehen, wie schwer sich sehr konservative Reihen heute mit dem Publikum tun.

Wie schaut denn in 40 Jahren ein klassisches Konzert aus?

ANDREAS SCHESSL: Über eine gewisse Überalterung wurde schon immer geklagt. Ich denke, dass es eine gewisse Default-Einstellung für Konzerte gibt: Sie finden als Frontalbespielung im Konzertsaal statt. Aber es wird daneben mehr andere Formen geben, die immersiv sind, neue Medien einsetzen und stärker auf Vermittlung setzen.
NEPOMUK SCHESSL: In der Branche wird viel darüber diskutiert, ob wir zukünftig mit VR-Brillen zu Hause auf dem Sofa sitzen und ob Künstler nur noch als Hologramme anwesend sein werden. Die Jahre der Pandemie haben aber gezeigt: Trotz aller digitalen Möglichkeiten wollen Menschen in einem Raum zusammenkommen, auch wenn in der Reihe hinter ihnen jemand hustet oder mit dem Bonbonpapier raschelt. Das Gemeinschaftserlebnis mit Musikern aus Fleisch und Blut lässt sich nicht ersetzen.

Gibt es Erfahrungen, die sich aus der Fat Cat in den Neuen Gasteig mitnehmen lassen, sofern er kommt?

NEPOMUK SCHESSL: Jede Art von Kultur braucht Raum in der Stadt. Es gibt einen hohen Bedarf an Ateliers und Probenräumen. Und die müsste es auch unabhängig von Zwischennutzungen geben. Jenseits dessen glaube ich, dass die Idee des Gasteig, nämlich die Stadtbibliothek, die VHS, die Musikhochschule und die Konzerte der Philharmoniker und privater Veranstalter an einem Ort zu konzentrieren, richtig ist.
DEA SCHESSL: Elemente aus dem Bereich der Zwischennutzung kann ich mir im neuen Gasteig schon vorstellen - als Angebot für das jüngere Publikum.

ANDREAS SCHESSL: Das Flüchtige ist ein Teil der Faszination von Zwischennutzungen. Ich finde es wichtig, dass die Politik den Bedarf nach Räumen zum Ausprobieren erkennt und hier auch für ständigen Wechsel sorgt. Und ich sage als Unternehmer, der privatwirtschaftlich in einem von subventionierter Kultur geprägten Umfeld agiert: Es ist wichtig, dass der Staat einen finanziellen Anschub für das Projekt "Ich werde Künstler" gibt.

Die Sanierung staatlicher Theater im Rahmen der Kulturkaskade könnte dazu führen, dass das Prinzregententheater zur Ersatzspielstätte wird und als Konzertsaal wegfällt. Sehen Sie die Gefahr?

ANDREAS SCHESSL: Die steht im Raum. In einer Stadt, in der der Neubau eines Konzertsaals womöglich weiter verschoben oder gar ganz wegfällt und der Gasteig noch nicht wieder eröffnet wird, halte ich es für ausgeschlossen, das Prinzregententheater einer anderen Nutzung zuzuführen. Das sage ich ganz deutlich in Richtung Politik. Da gibt es Gesprächsbedarf.

Tut sich bei der Paketposthalle was?

ANDREAS SCHESSL: Bei uns dauern Baugenehmigungen zu lange. Die Paketposthalle bleibt ein interessantes Projekt, auch wenn man davon im Moment wenig hört.

Drohen letztendlich nicht Überkapazitäten?

NEPOMUK SCHESSL: Das HP8 oder die dort von der VHS und der Musikhochschule genutzten Räume könnten den sozio- oder subkulturellen Gruppen gegeben werden, die jetzt die Fat Cat bespielen. Das wäre ein sinnvoller Ausgleich verschiedener Interessensgruppen.

ANDREAS SCHESSL: Es wäre wichtig, dass Staat und Stadt gemeinsam ein Gesamtkonzept für die Konzertsäle entwickeln. Ich bin mir sicher, dass Kunstminister Markus Blume bei diesem Punkt gesprächsbereit ist.

Jenseits der Kulturpolitik - was würden Sie aus Ihrem Jubiläumsprogramm besonders empfehlen?

ANDREAS SCHESSL: Nächste Woche singt der Tenebrae Choir, ein exzellentes englisches Vokalensemble. Es wird geleitet von Nigel Short, einem ehemaligen Mitglied der King's Singers.

DEA SCHESSL: Am 18. Dezember spielt die Pianistin Khatia Buniatishvili zum ersten Mal seit ihrer Schwangerschaft wieder in München - mit Kind in der Garderobe.
ANDREAS SCHESSL: Apropos, meine Frau hält den Kontakt mit den Künstlerinnen und Künstlern hinter der Bühne und ist die Retterin in vielen Situationen. Da ist sie unschlagbar. Wir sind kürzlich per Zufall im US-Bundesstaat Maine Konzertbesuchern begegnet, die Dea erkannten, weil sie den Künstlern die Blumen auf der Bühne stets persönlich überreicht.

Und Ihr Tipp, Herr Schessl?

NEPOMUK SCHESSL: Im April kommt John Neumeiers Bundesjugendballett mit Choreografien von John Neumeier und Kevin Haigen ins Prinzregententheater.

"Dalí: Spellbound" ab 2. Februar im Gasteig. Karten ab 20 € bei Münchenticket, Infos unter muenchenmusik.de

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