Bürgerliche Helden zwischen Bayreuth und Bollywood
Drei Stücke zum Preis von einem anzubieten, ist in dieser Saison ein Verkaufsmodell des Residenztheaters. Hausherr Martin Kušej inszenierte „In Agonie“, ein sechsstündiges Tripel des Kroaten Miroslav Krleža. Mit bescheidenen vier Stunden steht nun „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ von Carl Sternheim unter Regie des munteren Duos Tom Kühnel und Jürgen Kuttner auf dem Spielplan. Gemeinsam ist beiden Großprojekten die Nähe der Texte zum Ersten Weltkrieg, dessen Ausbruch vor 100 Jahren Anlass ist, über Krisen früher und heute nachzudenken.
Carl Sternheim war ein zynischer Chronist des Bürgertums im wilhelminischen Preußen, dem er selbst angehörte. Die sieben zwischen 1908 und 1913 entstandenen Komödien des Zyklusses „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ zeigten, meinte der Autor selbst, „wohin alle Einfalt des Bürgers Handel gediehen war. Vom Dichter gab es nichts, nur noch von Wirklichkeit hinzuzusetzen“. Kühnel und Kuttner entschieden sich für „Die Hose“, „Der Snob“ und „1913“ – weniger, um ein historisches Bild von dem zu gewinnen, was damals geschah, sondern ein Gespür für die Gegenwart 100 Jahre später zu entwickeln.
Dafür berufen die Regisseure unsere globalisierten Zeiten und lassen den Skandal um die öffentlich gefallene Hose der Gattin (Hanna Scheibe), der den Beamten Theobald Maske (Oliver Nägele) um seine Karriere fürchten lässt, in Indien stattfinden. Der quietschbunten und sogar curryduftenden Behaglichkeit eines einfach eingerichteten Heims unterm Wellblechdach entrinnt Sohn Christian Maske (Johannes Zirner) als anpassungsfähiger Snob in die Welt von Adel und einem von jeder Verantwortlichkeit enthobenen Kapitalismus.
Nach der Pause ist Christian im Jahre 1913 Freiherr Maske von Buchow und superreicher Industrieller. Die Exzellenz ist aufgeschlagen in die Weimarer Klassik, lagert sich wie Johann Wolfgang von Goethe in einer arkadischen Landschaft, die von Wagners Klangwogen und dichten Nebelschwaden durchwabert wird. Dabei muss er zusehen, wie die folgende Generation ihre Geschäfte noch skrupelloser betreibt und offenen Auges auf die Katastrophe zusteuert. Revolution bleibt folgenlos, auch wenn Maskes Sekretär (Franz Pätzold) leidenschaftlich aus „Der kommende Aufstand“, dem 2007 erschienenen Pamphlet eines „Unsichtbaren Komitees“, zitiert.
So bleiben am Ende einerseits zwischen Bollywood und Bayreuth zu viele lose Enden liegen. Andererseits ist, was sich an diesen losen Enden findet, mitreißend erfrischend erzählt. Dazu gehören, unter anderem, Kuttners Auftritte als druckvoller Edel-Kabarettist im Staatstheater-Glamour und die Qualität, mit der Sternheims schnörkellose Sprache klirrend klar über die Rampe kommt.
Residenztheater, 25. Februar, 4., 13., 23., 28. März 2014, 19 Uhr, Karten unter 2185-1940
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