Brigitte Hobmeier: Abschied mit Wehmut

Nicolas Steman inszeniert "Der Kirschgarten" von Anton Tschechow. Es ist die letzte Premiere von Brigitte Hobmeier. Im AZ-Interview erklärt sie die Hintergründe ihres Abgangs.
Nicolas Stemann, Hausregisseur der Kammerspiele, probt seit November mit zwölf Schauspielern den Klassiker, heute kann man die Früchte der Arbeit am „Kirschgarten“ erleben. Dann werden unter anderem Ilse Ritter als Ranjewskaja und Peter Brombacher als Lopachin auf der Bühne zu sehen sein. Und es ist die letzte Premiere von Brigitte Hobmeier an den Kammerspielen, Ende der Spielzeit wird sie das Ensemble verlassen.
AZ: Frau Hobmeier, Herr Stemann, das Stück wirkt wie ein Kommentar zur Situation, die wir gerade an den Kammerspielen erleben: Die Zeiten ändern sich. Und die Leute halten am Alten fest.
BRIGITTE HOBMEIER: Naja, wenn man den „Kirschgarten“ so liest, dann würde das bedeuten, dass der Staat die Unterstützung der Theater nicht mehr leisten könnte und die Stadt die Subventionen entzieht. Der Kirschgarten Kammerspiele ist aber nicht vom Abholzen bedroht.
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NICOLAS STEMANN: Aber es wird eine Welt gezeigt, in der ständig darüber geredet wird, wie schön früher alles mal war. Die Menschen wollen, dass etwas erhalten bleibt, verhalten sich aber auf eine halbherzige Art. Am Schluss wird der Kirschgarten abgeholzt und keiner hat etwas dagegen getan. Trotzdem stehen alle davor und schwärmen von der Vergangenheit. Dieses Schwärmen bringt’s aber nicht. Da wird etwas im Nachhinein verklärt.
Kurz vor der Revolution
Ist Tschechow überhaupt auf der nostalgischen Seite?
STEMANN: Ich glaube nicht. Darin liegt ja Tschechows Meisterschaft: Er kennt die sozialen Missstände seiner Zeit, weil er sich damit auseinandergesetzt hat. Er weiß, dass diese Gesellschaft abgewirtschaftet hat, dass jetzt soziale Reformen notwendig sind. Wir wissen heute, dass ein, zwei Jahre nach Erscheinen des Stücks, 1905, die Russische Revolution begann. Tschechow stellt seine Figuren aber sympathisch dar und schafft dadurch diese Spannung. Einerseits ist es schade, dass diese alte Welt aufhört. Andererseits muss diese Veränderung sein, es gibt keine Alternative – die Figuren zumindest schaffen es in vier Akten nicht, diese zu entwerfen. Dadurch wird das Stück komisch und tragisch zugleich.
Herr Stemann, Sie haben die Rollen dieses Mal traditionell an die Schauspieler verteilt?
STEMANN: Ja, es gibt zwölf Schauspieler und zwölf Figuren. Dabei wird aber auch die Frage gestellt: Was heißt das, eine Figur zu spielen? Das ist ja auch ein Teil des Problems im Stück: Die kommen alle nicht aus ihrem Figurenhorizont heraus. Wenn sie mal in der Lage wären, eine andere Position einzunehmen, gäbe es Hoffnung. Diesbezüglich ist gerade Brigittes Figur interessant.
Inwiefern?
STEMANN: Scharlotta Iwanowna, die angestellte Gouvernante, ist die einzige Figur, die durch das Stück läuft und sagt: Ich weiß nicht, wer ich bin. Sie kommt aus dem fahrenden Volk, ist eine Art Gauklerin. Sie kann die Menschen verzaubern, kann Illusionen schaffen, sagt aber: Alle haben ihren Ort, nur ich nicht. Sie ist eine wandelnde Leerstelle in dem Figurengeflecht. Tschechow wollte, dass sie von der besten Schauspielerin im Ensemble gespielt wird. Er hat Stanislawski bekniet, dass seine, Tschechows Frau Olga Knipper diese Rolle spielt, aber Stanislawski hat sie als Gutsherrin Ranjewskaja besetzt. Tschechow war diese Figur der Gouvernante aber sehr wichtig. Deswegen war es mir wichtig, dass sie von einer großen Schauspielerin gespielt wird. Mit Brigitte hat sich das eingelöst. Unsere Begegnung, unsere Zusammenarbeit war wirklich toll.
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HOBMEIER: Das finde ich auch.
Sie als wandelnde Leerstelle?
HOBMEIER: Ja, ein Mensch, dem die wichtigen Lebensfragen nicht beantwortet werden. Es hat etwas Trauriges, dazustehen und zu sagen: „Wer ich bin und wozu? Man weiß es nicht.“ Wenn man das auf sich selbst bezieht, dann ist das erstaunlich schmerzhaft. Es gibt ja auch Leute, die klar sagen: „Ich weiß, wer ich bin. Ich weiß, wozu ich da bin. Ihr Verlorenen interessiert mich nicht.“ Aber Scharlotta erlebt Verlorenheit und Isolation.
Haben Sie sich gewundert, als Sie gerade diese Rolle bekommen haben?
Ich habe mich über die Anfrage Freude, weil ich Nicolas’ Arbeiten lange verfolgt habe. Mir wurde dann gesagt, wieso sie mich für diese Figur wollen. Das ist total in Ordnung. Und es ist ja auch ein bisschen lustig: Ich habe an den Kammerspielen vor elf Jahren mit dem „Kirschgarten“ begonnen, und mit dem „Kirschgarten“ beende ich meine Zeit hier.
Damals führte Lars-Ole Walburg Regie. Und Sie spielten…
…die Anja. Und jetzt dachte ich mir: Ist doch eigentlich schön rund. So schließt sich der Kreis.
Ja, es ist traurig!
Wie war die Zeit für Sie, nachdem bekannt wurde, dass Sie die Kammerspiele verlassen?
Ich werde häufig gefragt: Wie geht’s dir? Oft mit so einem halbmitleidigen Blick. Dann denke ich, naja, wie soll es mir gehen? Ich schmeiße jetzt nicht das wehende Haar nach hinten und haue die Türe hinter mir zu, damit es noch mal kracht. So ist es gar nicht. Ich bin hier noch bis zum Sommer, ich gehe hier jeden Tag ein und aus. Dabei ist mir dadurch, dass ich gekündigt habe, erst richtig klar geworden, wie vertraut mir alles geworden ist: Es sind hier so viele Menschen, gerade in den Gewerken, die ich über die Jahre kennengelernt habe. Neben den anderen Schauspielern sind die Schneiderinnen, die Techniker, die Requisiteure und die Maskenbildnerinnen für mich die vertrautesten Weggefährten. Das ist schön. Und traurig. Es war doch eine lange Zeit hier. Ich verabschiede mich mit Wehmut. Und jetzt hatte ich auch noch das Glück, mit so einem tollen Regisseur meine letzte Arbeit zu machen. Das tut nach diesen verrückten letzten Monaten richtig gut.
Mit ihrem Weggang wurden Sie plötzlich Bestandteil einer Krise an den Kammerspielen.
Das kann man gar nicht leugnen diese Wirbelsturmentwicklung. Ich habe mich auch noch nie so stark von meinem eigenen Namen entfremdet gefühlt. Immer wieder kam jemand zu mir: Hast du das schon über dich gelesen? Ungefragt wird man vor den oder jenen Karren gespannt. Mit meiner realen Situation hatte das wenig zu tun.
Es gibt die Vermutung, dass Sie die Handschrift von Herrn Lilienthal einfach nicht mögen.
Wenn ich das nicht interessant gefunden hätte, hätte ich meinen Vertrag schon vor Beginn seiner Intendanz gekündigt. Matthias Lilienthal ist gekommen und macht genau das, was er angekündigt hat. Dass er mich nicht eingebunden hat und ich so Konsequenzen zog, ist kein großes Geheimnis.
Ihr Weggang wurde aber als Indiz gelesen, dass etwas hier nicht stimmt.
Dass eine Inszenierung abgesagt wird, ist doch nichts völlig irres Neues. Ich habe auch schon erlebt, dass der Hauptdarsteller kurz vor der Premiere sagt, dass er diese Rolle doch nicht spielen will. Das passiert. Aber es gab auch schon früher diese Skandalwelle: Herr Dorn wird an den Kammerspielen nicht weiter verlängert! Herr Baumbauer kommt – was macht der denn?! Er musste in den ersten zwei Jahren auch erstmal kämpfen. Ich wünsche dem Haus, dass es diese Zeit übersteht und sich die Kammerspiele und die Münchner wieder annähern. Wenn wir alle so sicher sind, wie alles funktioniert, hätten wir die Weisheit mit Löffeln gefressen. Wir müssen immer wagen, immer springen. Wenn mal was nicht hinhaut, steht man halt wieder auf und macht das nächste Stück. Ich war auch nicht nur bei Welterfolgen dabei, wir haben in der Baumbauer- und Simons-Zeit auch oft den Karren vor die Wand gefahren.
STEMANN: Ich kann dazu nur sagen, dass ich es sehr schade finde, dass Brigitte geht und es tragisch finde, wie das zeitlich abgelaufen ist. Es ist schade, dass wir uns nicht früher begegnet sind, vielleicht wäre dann alles anders gelaufen. Ich möchte jedenfalls unbedingt wieder mit ihr arbeiten, in welchem Zusammenhang auch immer. Ich habe den Eindruck, wenn ihre Kündigung nicht so öffentlich geworden wäre, hätte man vielleicht im Theater und auch auf Brigittes Seite anders reagieren und etwas zurückdrehen können. Wie das alles gelaufen ist, hat was Tragisches, auch Komisches. Könnte von Tschechow sein.
Und so eine Entscheidung kann man nicht noch über Bord werfen?
HOBMEIER: Dieser Schritt war so schwer für mich und so lange überlegt, dass ich jetzt erstmal schaue, wohin er mich bringt. Atme auch mal Freiheit, egal, ob die jetzt positiv oder negativ ist. Die Konsequenzen meiner Entscheidung trage ich gern.
Ich bleibe in München und notfalls verkaufe ich Eis
Sie bleiben hoffentlich München erhalten?
Meine Wohnung wird so bald nicht frei. Tut mir leid.
Und haben Sie schon neue Film- und Theaterangebote?
Dazu möchte ich nichts sagen. Es wird aber immer was geben. Zur Not verkaufe ich Eis in der Eisdiele meines Mannes. Ich bin ja nicht allein. Ich habe meine Familie, habe meinen Mann, der sagt: Du willst einen neuen Weg einschlagen? Ich komm mit.
Kammerspiele, Kammer 1: „Der Kirschgarten“, Premiere am Freitag, 27. Januar, ausverkauft, wieder am 28. Januar, 19 Uhr, 30. Januar, 19.30 Uhr sowie 5. und 9. Februar