Bodenständig: "König Lear" im Schauspielhaus

Hausherr Johan Simons verlegt in den Kammerspielen Shakespeares "King Lear" auf den Bauernhof
Gabriella Lorenz |
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Lear auf dem Bauernhof? Warum nicht? Man kann sich den abdankenden König, der sein Reich verteilt, durchaus als alten Bauern denken, der vor dem Tod den Hof übergibt, sich aber noch den Titel "Altbauer" - hier "König" - sowie Austragsstüberl bei seinen Töchtern ausbedingt. Der Ansatz von Johan Simons' "König Lear"-Inszenierung ist plausibel. Das Ergebnis nicht.

Nach gut dreieinhalb Stunden grosser Applaus für das Ensemble rund um Andre Jung in der Titelrolle und einige berechtigte Buhs für den Regisseur. Die Idee, zum 100. Geburtstag des Hauses wichtige Stücke aus der Kammerspiele-Historie neu zu zeigen, war bisher nicht von Erfolg begleitet. Dass der wenig shakespeare-erprobte Hausherr Simons sich an dieses schwerste aller Shakespeare-Stücke wagte, spricht für seinen Mut.

Denn die legendäre Inszenierung seines Vor-Vorgängers Dieter Dorn 1992 mit Rolf Boysen als nacktem König Lear ist manchen Zuschauern noch gut im Gedächtnis. Aber jeder Vergleich verbietet sich angesichts der unterschiedlichen Konzepte. Ein Programm-Text suggeriert, man sähe hier Bauern bei einer "Lear"-Aufführung zu. Bert Neumanns Bühne löst das nur halbherzig ein: eine angeschrägte Drehscheibe mit Rollrasen, drumrum zunächst ein glitzernder Lametta-Rundvorhang, dahinter ein Laufsteg mit Streifen-Vorhängen von Strandkabinen.

Die Herrschaften tragen alle einen gegürteten Kosakenkittel über Reit- oder Pluderhöschen, Lear hat drunter - wie nicht zufällig auch sein Narr - eine hässliche rote Strumpfhose (Kostüme: Nina von Mechow). Lear tritt auf wie ein Zirkusdirektor - immer die Reitgerte in der Hand, mit der er gerne zuschlägt. Andre Jung zeigt ihn machtbewusst, herrisch, aggressiv und vor allem laut. Alle verfügen hier über ein brüllendes Aggressionspotenzial: Die rachelüsternen Töchter Goneril (Annette Paulmann) und Regan (Sylvana Krappatsch), deren Männer Albany (Oliver Mallison) und Cornwall (Lasse Myhr). Auch der Ton von Cordelia (Marie Jung) ist nicht sanft.

Es herrscht viel Geschrei. Das kulminiert in einem lärmenden Heidesturm, sichtbar erzeugt mit Donnerturm, Windmaschinen und viel Nebel. In der Ruhe danach dürfen dann die fünf Schweine frei herumtraben, die im Vorfeld schon viel Aufmerksamkeit erregt haben und die man von Anfang an riecht und hört. Zwischen denen muss der arme Tom fast nackt auf allen Vieren herumkriechen. Danke, man hat die Metaphorik verstanden. Arme Schweine wir alle? Oder glücklich grunzende Kreaturen?

Die Viecher bleiben ein überflüssiger Gag. Zum Bauernkönig machen sie Lear nicht. Auch wenn sich bei wilden Ringkämpfen immer wieder Männer wie Frauen übereinander auf dem Boden wälzen, und sogar ein Auge ausgebissen und dann ausgespuckt wird: Das Konzept des Rustikalen verliert sich und geht nicht auf. Wenigstens herrscht nach der Pause mehr Ruhe. Da kann Andre Jung auch die anderen Facetten des verblendeten Königs ausspielen, der sich selbst entmachtet und schmeichelgierig seinen Besitz an die Falschen verschenkt hat. Doch auch sein Wahnsinn, der letztlich Einsicht ist, berührt wenig in dieser Aufführung.

Erst ganz spät ist Jung wunderbar bei sich, wenn er aus einer Papiertüte Mulch verstreut und dazwischen Essbares findet, und wenn er am Ende seine tote Cordelia hereinträgt. Die Schauspieler sind grossartig - aber sie dürfen es kaum zeigen. Thomas Schmausers Narr turnt an Seilen, Wolfgang Preglers treuer Kent stellt seine Schärfe aus, Peter Brombacher rührt als blindes Lear-Double Gloucester. Stefan Hunsteins verräterischer Edmund ist ein schmieriger Strizzi, sein redlicher Bruder Edgar (Kristof Van Boven) als verrückter Tom trägt einen Tarzan-Lendenschurz. Man sieht viele Klischees, grandios gespielt. Aber eine Deutung bleibt Simons' Aufführung schuldig.

Kammerspiele, 13., 23., 31. März, 17., 21., 26. April

 

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