Blackfacing am Gärtnerplatz: Eine Tradition, reif zum Wegwerfen

München - Seit Jahren wird über Blackfacing debattiert. Man kann diese Debatte als US-Import verstehen, man kann sie überhitzt finden. Aber die Debatte entsteht regelmäßig und sie verläuft auch immer gleich heftig, wenn sich Weiße auf der Bühne schwarz schminken.
Das Gärtnerplatztheater setzt trotz Debatte auf Blackfacing
Und was macht das Gärtnerplatztheater? Es spielt trotzdem Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf" mit einem schwarz angemalten weißen Sänger. Der Regisseur Peter Lund erläuterte zwar halbwegs schlüssig, dass er Blackfacing, das auf der Bühne kritisch reflektiert wird, nicht für Blackfacing hält.
Aus der Sicht vieler Betroffener ist das allerdings trotzdem Blackfacing, und nicht jede Person of Color mag da angesichts eigener Erfahrungen mit Diskriminierungen über ästhetische Feinheiten diskutieren. Nach einer primär im Internet geäußerten Kritik hat das Gärtnerplatztheater nun beschlossen, die Inszenierung zu ändern und in Zukunft auf die "Darstellung des Blackfacing" zu verzichten.
Man hätte die Rolle auch anders besetzen können
Das ist richtig, aber diese Erfahrung, die intern wohl als Zensur und Angriff auf die Kunstfreiheit wahrgenommen wird, hätte man sich mit etwas mehr Sensibilität auch sparen können. Bei zwei Spielzeitpressekonferenzen wurde gefragt, wie das Gärtnerplatztheater mit dem Blackfacing-Problem dieser Oper umzugehen gedenke und ob es nicht besser sei, wie an anderen Häusern, die Rolle mit einer "Person of Color" zu besetzen.
Das Gärtnerplatztheater präsentiert sich naiv
Auch die coronabedingte Verschiebung der Premiere um ein Jahr scheint niemand am Gärtnerplatztheater dafür genutzt zu haben, sein Problembewusstsein zu schärfen und sich mit der Debatte über diese Oper näher zu beschäftigen. Denn es ist naiv, aus dem Verbot dieser Oper durch die rassistischen Nazis zu folgern, das Werk sei politisch unschuldig und frei von jeder Diskriminierung.
Die Verantwortlichen haben ihre Chance verpasst
Die Verantwortlichen haben es versäumt, die Premiere von "Jonny spielt auf" mit einem Rahmenprogramm zu begleiten und Kritiker des Blackfacings wie die Autorin Jasmina Kuhnke zu einer öffentlichen Diskussion einzuladen. Dass Kuhnke und ihre vielen Twitter-Follower auf diese Premiere reagieren würden, weiß jeder, der die Debatte über Blackfacing auch nur am Rand verfolgt.
Die jedes Jahr im März von der Stadt organisierten "Internationalen Wochen gegen Rassismus" hätten den perfekten Rahmen geboten, um über das Thema zu sprechen - trotz Corona. Aber auch das scheint niemandem aufgefallen zu sein.
Wir sollten Personen of Color zuhören
Wir leben in einer diversen Gesellschaft, und das ist auch gut so. Das erfordert Lernprozesse, auch im Theater, wo man gerne weiterwurstelt wie gewohnt, weil man "ohnehin so tolerant ist". Wenn Personen of Color das Blackfacing ablehnen, sollten wir zuhören und ihre Bedenken nicht abtun oder gar von Zensur sprechen.
Die ehrwürdige Tradition des europäischen Theaters hängt nicht an einem schwarz angemalten Otello oder gelb angemalten Tänzerinnen in einem Petipa-Ballett. Seine Stärke ist die Kraft zur Verwandlung, die permanente Bereitschaft, überlebte Traditionen wegzuwerfen und Neues zu beginnen.