Bierbichler: Ich übe mich in Verweigerung

Wer Bayern verstehen wollte, musste bislang immer Feuchtwangers „Erfolg“ lesen. Im Jahr 2011 kam ein weiterer Schlüsselroman hinzu, der nahe an unsere Gegenwart heranreicht: „Mittelreich“ von Schauspieler Josef Bierbichler. Nun hat Anna-Sophie Mahler den Roman als Theaterstück bearbeitet: „Mittelreich“ an den Kammerspielen.
von  Adrian Prechtel

Wer Bayern verstehen wollte, musste bislang immer Feuchtwangers „Erfolg“ lesen. Im Jahr 2011 kam ein weiterer Schlüsselroman hinzu, der nahe an unsere Gegenwart heranreicht: „Mittelreich“ von Schauspieler Josef Bierbichler. Nun hat Anna-Sophie Mahler den Roman als Theaterstück bearbeitet. „Mittelreich“ hat am Sonntag an den Kammerspielen Premiere.

AZ: Herr Bierbichler, wie kann man aus Ihrem „Mittelreich“ überhaupt ein Theaterstück machen: Ihr Roman umfasst fast 70 Jahre, hat ein großes Figuren-Repertoire und spielt an einem bestimmten Ort am Starnberger See.

JOSEF BIERBICHLER: Erst einmal: Nirgendwo im Buch steht was vom Starnberger See. Ich hab keine Chronik meines Ortes oder meiner Familie geschrieben. Ich habe da nur mein Material gefunden. Wenn ich geahnt hätte, dass das sofort irgendwie geoutet wird, hätte ich es noch weiter verfremdet und entfernt. Der Ort ist exemplarisch! Es hätte überall sonstwo auch stattfinden können.

Aber eben nur im katholischen Altbayern.

Warum? Die Konfession und das Bayrische geben der Geschichte eine entsprechende Patina. Aber es geht letztlich um die Transformation einer ländlichen Gesellschaft durch wachsenden Wohlstand und Tourismus.

Und sind Sie da nostalgisch?

Während die Kritiker in den Figuren meines Buches eine Art Horrorgesellschaft entdeckt haben, ist es nach meinem Gefühl eine Liebeserklärung geworden. Wenn das nostalgisch ist, ja.

Ja, eben trotz kirchlicher Missbrauchsgeschichten, überlebendem faschistoiden Gedankengut ist diese Welt zwar nicht in Ordnung, aber geordnet. Sind Sie also Nostalgiker?

Nein, bin ich nicht. Nostalgie ist rückwärtsgewandt, verliert sich in einer vermeintlich „guten alten Zeit“. Eher bin ich konservativ. Was mir lebenswert oder sinnvoll erscheint, muss nicht durch was Neues ersetzt werden. Und jetzt aktuell die Flüchtlinge, die irgendwann wieder zurück wollen, sind auch keine Nostalgiker, weil sie nicht in den Bürgerkrieg zurück wollen, sondern dahin, von wo der Krieg sie vertrieben hat, um da weitermachen zu können, wo sie unterbrochen worden sind.

Die Nachkriegs-Flüchtlinge verändern in „Mittelreich“ die Gesellschaft ja stark.

Ja, sie wirken verändernd allein durch ihr Da-sein. Aber es hat eine ganze Generationen gedauert, bis man sich gegenseitig angenommen hatte. Die sind ja damals auch angefeindet worden. Ein evangelisches adeliges Fräulein aus Ostpreußen war damals in Oberbayern vielleicht exotischer als heute ein unbegleiteter minderjähriger Syrer. Aber durch die modernen Medien und das Reisen weiß man heute mehr voneinander, als die damals wissen konnten. Ich bin mit acht Jahren zum ersten Mal nach Wolfratshausen gekommen, das waren zehn Kilometer, und das war was Besonderes.

Klaus Staeck hat mal das satirische Plakat gemacht mit dem Titel: „Nostalgie ist noch lange kein Grund CDU zu wählen“.

Ja. Manchmal ist Kapitalismus sogar ein Gegensatz zur CDU. Das wissen aber nur die Kapitalisten. Die von der CDU wissen das nicht.

Der Titel „Mittelreich“ spielt ja darauf an, dass die Menschen weder arm noch reich waren.

Nicht nur. Er meint auch ein Reich der Mitte. Mir ist irgendwann klar geworden, dass ich meinen Wurzeln nicht entwachsen kann. Ich weiß auch nicht, ob ich Emigration ertragen würde. Ich kann mich mit diesen Wurzeln allenfalls der Zeit anpassen, wo’s nötig ist. Ansonsten bemühe ich mich um Verweigerung. Die Leute von den Blaskapellen in den Nachbarorten haben natürlich eine ganz andere Idee von Wurzel, die sie Tradition nennen in ihren Trachtenuniformen, die es so traditionell ja nie gegeben hat.

Oskar Maria Graf hat ja noch im New Yorker Exil die Lederhosn anbehalten.

Aber die hat er beim Moskauer Schriftstellerkongress auch getragen. Die Mühen der Verweigerung lassen sich anhand vom Handygebrauch gut erkennen. Wir haben diese Geräte seit 15 Jahren und ich merke, dass ich die Möglichkeit, mit jedem, den ich gerade erreichen will, zu reden, nicht mehr aufgeben will. Es gibt von Valentin und Karlstadt den Sketch, wo Sie ins Telefon eine Nummer einwählt und nach kurzer Zeit sagt: „Ja Karl, wo bist’n grad?… so, am Viktualienmarkt. Ja na komm nur gleich heim!“ Und im nächsten Moment kommt er auch noch zur Tür rein. Riesen Publikumslacher! Damals! Heute gibt’s da nichts mehr zu lachen. Heute ist das Ernst. Da hat sich was entwickelt. Aber wohin? In Brechts „Galilei“ sagt der, dass die Technik dafür da sei, die Mühsal des menschlichen Lebens zu erleichtern. Das galt noch im letzten Jahrhundert. Wir hatten zuhause bis in die 50er Jahre nur das elektrische Licht und zwei Fahrräder und eine mechanische Mähmaschine, sonst nichts. Aber dann haben die Maschinen eine enorme Erleichterung gebracht. Die neuen Medien und das Internet können Diktatoren stürzen, aber eben auch zur totalen Kontrolle und Manipulation der Menschen durch Staat und Konzerne eingesetzt werden.

Wie hat man Sie manipuliert, um ihren Roman für eine Dramatisierung an den Kammerspielen freizugeben?

Als Lilienthal, der Intendant, angerufen hat, dass seine Regisseurin das am Brahms-Requiem aufhängen will, hab ich gesagt: Das kommt ja gar nicht vor!

Doch bei der Beerdigung der Hauptfigur Pankraz.

Das ist mir dann auch wieder eingefallen. Die Regisseurin Anna-Sophie Mahler hat mir die Zusammenfassung geschickt. Damit war ich einverstanden, auch wenn im Roman vor allem Wagnermusik eine Rolle spielt und bei Pankraz die Idee beflügelt, Sänger werden zu wollen.

Sie selbst haben schon im Film von Hans Steinbichler „Winterreise“ Schubert gesungen.

Aber ohne die Ambition, Sänger zu werden.

Nachdem Ihr „Mittelreich“ so ein Erfolg war, gab es auch Begehrlichkeiten von Filmproduzenten. Aber Sie haben gesagt. Das mach ich!

Ich wollte noch mal was machen, was ich nicht kann.

Sie hätten ja zur eigenen Entlastung den Regisseur Hans Steinbichler hernehmen können, dem Sie ja schon mehrmals vertraut haben.

Ich hätte ihn fragen können. Hab ich aber nicht. Mein Verhältnis zu dem, was landläufig Heimat heißt, ist unsentimental. Drum probiere ich, es mit einem diesbezüglich wesensverwandten Produzenten hinzukriegen.

Und ein Fernseh-Mehrteiler?

Das ginge auch. Aber wir konzentrieren uns auf einen Kinofilm.

Dann scheint das Projekt ja voranzukommen.

Ja. Aber man kann vor dem ersten Drehtag nie sicher sein, ob es den überhaupt je geben wird.

Kammerspiele,  27. November und 5., 6.,13., 26. und 28. Dezember sowie im Januar, 10 – 41 Euro, www.kammerspiele-muenchen.de, Tel. 233 966 00

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