Biennale: Lucia Ronchettis "Searching for Zenobia"

Es ist sicher wichtig, an den immer noch schwelenden Bürgerkrieg in Syrien zu erinnern. Generell sind im weiteren Sinn aktuelle Stoffe vorzuziehen, denn zu oft zieht sich das neuere Musiktheater auf antike Mythen, surreale Einakter oder reine Klangaktionen zurück. Auch Einfachheit und unmittelbare Zugänglichkeit wäre an sich ein Vorzug jeder Opernuraufführung.
Die erste Uraufführung der Münchner Biennale beherzigt das alles. Trotzdem ist sie ein Flop. Lucia Ronchettis Musiktheater "Searching for Zenobia" verbindet die Geschichte der spätantiken Herrscherin über die Oasenstadt Palmyra mit dem Schicksal einer syrischen Archäologin, die nach dem Tod ihres Mannes im dortigen Foltergefängnis des Assad-Regimes nach Berlin flüchtet, um dort unglücklich zu sterben.
Epische Kälte
Die Verbindung zweier Zeitebenen ist an sich ein bewährtes dramaturgisches Mittel. Die italienische Komponistin und ihr Textautor Mohammad Al Attar ziehen das allerdings in plattester Weise eins zu eins durch: Zenobia hat wie die gegenwärtige Zeina ihren Mann verloren, beide verlassen umständehalber ihre Heimat und beklagen ihr familiäres Leid. Alles passiert doppelt, ohne sich wechselseitig zu erklären, und letztendlich riskiert jedes Schülertheater mehr Komplexität.
Dazu kommt, dass die Lebensstationen übertrieben hurtig abgehandelt werden. Zenobia und Zaina bleiben so kalt konstruierte Papierfiguren, die kaum jemals zum Herzen des Zuschauers sprechen. Und das Hirn bekommt in den pausenlosen 70 Minuten leider auch nicht viel zu tun.
Dramaturgische Konfliktscheu
Die singende Zenobia sitzt anfangs königlich auf einem Stuhl. Später legt sie eine Rüstung an, die auch der naivste Zuschauer als emotionalen Panzer verstehen dürfte. Die Sängerin Milda Tubelyte neigt zu Gesten einer geschmackvollen Opernhaftigkeit, die im Kontext Neuer Musik seltsam wirkt. Ihr gegenwärtiges Double Zeina (Naima Laube) sagt viel Text auf, was den Akzent vom Musiktheater auf Theater mit etwas Musik verschiebt.
Verständlichkeit ist an sich löblich. "Searching for Zenobia" ist allerdings zu verständlich und verzichtet auf jedes ästhetische Rätsel. Auch der Titel bleibt ein leeres Versprechen: Niemand sucht nach etwas, die heikle Überlieferung des Lebens der palmyrenischen Königin wird nicht zum Problem gemacht. Auch alles Politische des Bürgerkriegs in Syrien, der Zerstörung antiker Bauten durch die Islamisten oder des Umgangs mit Migranten in Deutschland bleibt mit einer Konfliktscheu ausgespart, die doch befremdet.
Text und Musik der Zenobia spielen auf eine barocke Oper von Tomaso Albinoni an - was richtigerweise nur mit der Messerspitze dosiert wird. Sechs Vokalistinnen des Damenchors des Staatstheaters Braunschweig agieren madrigalesk im Hintergrund als Gedankenstimmen. Sie werden von einer Handvoll Streicher begleitet, die kaum weiter auffallen.

Der Perkussionist Elias Aboud begleitet den expressiven Gesang der Solistinnen meist sparsam gegenwärtig, hin und wieder auch in orientalisierender Manier auf einer Rahmentrommel. Das ist alles nicht schlecht gemacht und sehr geschmackvoll von Isabel Ostermann inszeniert, wirkt aber auf einem Festival für Neues Musiktheater in seiner grundbieder neuerungslosen Stadttheaterhaftigkeit völlig deplatziert.
Unausgetragene Konflikte
Gegen Ende zeichnet sich ein Konflikt zwischen Mutter und Tochter ab, der sich um die Frage des Loslassens der Vergangenheit dreht. Es ist dramaturgisch widersinnig, dass die offenbar konfliktlos in der deutschen Gegenwart lebende Tochter im folkloristischen Stil singt und ihre Mutter gemäßigt modern. Aber auch dieser Konflikt bleibt unausgetragen, weil die Autoren Zeina schneller sterben lassen, als es dem Stück guttut.

Es ist nach "Searching for Zenobia" schwer zu glauben, dass Mohammad Al Attar als Chronist des vom Krieg zerrissenen Syrien gilt. In jedem Zeitungsartikel erfährt man mehr darüber. Auch der Blick auf die Werkliste der italienischen Komponistin irritiert: Sie hat über zwei Dutzend musikalischer Bühnenwerke im Kammerformat geschrieben, schon 1994 für die Biennale ein Puppentheater komponiert und leitet die Biennale Musica in Venedig.
Wieso machen ein bühnenerfahrender Autor und eine erfahrene Komponistin den klassischen Anfängerfehler, zu viel zu erzählen und zu wenig zu zeigen? Und was sucht ein Werk einer 61-jährigen, hoch erfahrenen und im Betrieb arrivierten Komponistin eigentlich auf einem Festival, das als Plattform für junge Komponierende gegründet wurde?
Die drei Aufführungen in der Muffathalle sind bereits vorüber, weitere Vorstellungen im September und Oktober in Braunschweig