Berühmtes Musical "Les Misérables" in München: "Man hat hier einen Komplex, weil Wien die größere Stadt ist"

Seit seiner Pariser Uraufführung vor 44 Jahren begeistert dieses Musical die Menschen. Die Handlung beruht auf Victor Hugos gleichnamigem Roman "Les Misérables" aus dem Jahr 1862 und erzählt von Leidenschaft, Verrat, Aufopferung, Vergeltung, zerbrochenen Träumen und unerfüllter Liebe. Josef E. Köpplinger inszeniert die Münchner Erstaufführung im Gärtnerplatztheater – in Kooperation mit dem Theater St. Gallen.

AZ: Herr Köpplinger, in St. Gallen gab es schon zwei Inszenierungen dieses Musicals, Sie haben es vor dieser Koproduktion bereits in Graz und Klagenfurt inszeniert. Wieso kommt "Les Miserábles" so spät nach München?
JOSEF E. KÖPPLINGER: 2006 hätte ich unter dem damaligen Intendanten Klaus Schultz einen Vertrag für eine Inszenierung gehabt. Die wurde von den Rechteinhabern aber nicht genehmigt, weil Schultz nur 15 Vorstellungen angesetzt hatte. 2018 wurde "Les Misérables" wegen einer geplanten Tournee der Londoner West-End-Produktion gesperrt, die auch in München gastieren sollte. Und diese Rücksicht auf mögliche Gastspiele hat Aufführungen in dieser Stadt wohl lange verhindert. Kleinere Städte haben die Rechte eher bekommen, weil die nicht als Konkurrenz für eine große Tour betrachtet werden.
Über Nachfrage können Sie jetzt nicht klagen.
Unsere 22 Vorstellungen bis zum Ende der Spielzeit sind so gut wie ausverkauft. Wir spielen "Les Misérables" so oft, weil wir die Rechte vorerst nur für das Kalenderjahr 2024 haben. In dieser Zeit müssen wir das Musical mindestens 30-mal spielen.
Premiere von "Les Misérables" am Gärtnerplatztheater: "Theater muss nicht verstören, um up to date zu sein"
Das ist zwar schön, aber auch ein bisschen übergriffig, oder?
Die Rechteinhaber sind streng. Man muss die Besetzung mit Video-Einsendungen und Lebenslauf vorstellen, außerdem muss das Grundkonzept genehmigt werden, das keine Kopie der Original-Inszenierung sein darf, aber trotzdem auf Eingriffe verzichten soll. Man darf die Handlung beispielsweise nicht in eine andere Zeit versetzen – was aber ohnehin keinen Sinn machen würde.

Muss die Produktion vor der Premiere noch abgesegnet werden?
In St. Gallen war ein Vertreter der Rechteinhaber, wahrscheinlich wird auch jemand nach München kommen. Von der Aufführung in St. Gallen waren sie schwer begeistert, was es uns leichter macht, wenn wir "Les Misérables" über das Jahresende hinaus ins Repertoire übernehmen möchten.
Ist diese Kontrolle nicht nervig?
Ich finde, alle Urheber sollten dieses Recht zumindest bedingt haben. Mancher Komponist dreht sich womöglich im Grab herum, wenn er sehen würde, was mit seinen Stücken gemacht wird. Das klingt jetzt altmodischer, als ich es meine. Aber ein Grundrespekt vor den Stücken und Stoffen ist mir wichtig. Theater muss nicht zwingend verstören, um up to date zu sein.
Sie haben in der Blackfacing-Debatte um "Jonny spielt auf" und auch sonst die Fahne der Kunstfreiheit sehr hoch gehalten. Jetzt plädieren Sie für Einschränkungen. Das halte ich für einen Widerspruch.
Natürlich. Aber es gibt nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Die Menschen laufen heute mit hocherhobenen moralischen Zeigefingern durch die Gegend, wechseln aber wie Chamäleons ihre Farben, um auf der Woge der Wokeness mitzuschwimmen. Davon halte ich nichts. Aber die Freiheit der Kunst ist unantastbar.
"Les Misérables" in München: "Das Musical berührt Menschen"
Rechteinhaber dürfen aber dreinreden?
Das ist nicht neu. "Les Misérables" ist nicht das einzige Stück, bei dem Verlage darauf achten, dass bestimmte Dinge nicht gemacht werden. Sie schützen damit die Freiheit der Autoren und Komponisten vor der Willkür von Interpreten. Auch das gehört zur Freiheit der Kunst – sonst würde der Schaffende von Regisseuren und Dramaturgen zensuriert. Außerdem rege ich mich bei "Les Misérables" darüber nicht auf, weil ich das Procedere schon kenne.

Es gibt eine Version für Band und eine für Orchester. Welche wird in München gespielt?
Im Londoner Westend gab es aus wirtschaftlichen Gründen eine Band-Fassung. Wir spielen die Orchesterfassung.
Wovon handelt eigentlich "Les Misérables"? Nicht jeder hierzulande kennt den Roman.
Erzählt wird die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Menschen: des Polizeidirektors Javert und des Sträflings Valjean, der wegen des Diebstahls eines Laib Brots für seine hungernde Familie jahrelang im Gefängnis saß. Sie begegnen sich immer wieder, gemeinsam geraten beide Jahre später in den Pariser Juniaufstand 1832, der dem Leben aller eine dramatische Wendung gibt.
Und worin besteht das Faszinosum dieser Geschichte? Uns sagt diese Pariser Revolution doch nichts mehr.
Das Musical berührt Menschen. Es entwirft – verbunden mit der starken Musik der späten 1970er-Jahre – das Bild einer ganzen Gesellschaft durch alle Schichten ohne jede Schwarzweißmalerei. Dazu kommt die Geschichte dieses Studentenaufstands, der ins offene Messer rennt und jeden Fanatismus in Fatalismus münden lässt. Das passt zu jeder Revolution.
Intendant und Regisseur Josef E. Köpplinger: "Ich bin einfach gerne am Staatstheater am Gärtnerplatz"
Kunstminister Markus Blume hat Sie als Intendant kürzlich bis 2030 verlängert. Dann wären Sie 18 Jahre Intendant am Gärtnerplatztheater gewesen. Fürchten Sie nicht, sich zu wiederholen?
Ich kenne die Kritik, dass ich manche meiner Inszenierungen neu einstudiere. Aber ich weiß, warum ich das tue – etwa weil Musicals wie "Anything goes" oder "Singin' in the rain" noch nie in München zu sehen waren. Ich glaube an diese Stücke. Trotzdem: Ich habe schon sehr gezögert, noch einmal zu verlängern. Denn es ist eine gute Regel, nicht länger als 10 Jahre zu bleiben. Aber ich bin mit meinem Programm noch nicht fertig. Und ich möchte die Entwicklung des Ensembles weiter begleiten. Wenn ich 2030 gehe, war ich noch nicht der längstdienende Intendant in der Geschichte des Gärtnerplatztheaters. Der ist und bleibt Kurt Pscherer von 1963 bis 1983.

Trotzdem frage ich mich, ob Sie als Österreicher nicht doch einen Posten in Wien als Krönung der Karriere ansehen würden.
Aus Ihrer Frage spricht der München-Komplex, den man hier hat, weil Wien die größere Stadt ist. Ich bin kein Wiener, sondern Niederösterreicher. Außerdem habe ich an jedem dortigen Haus inszeniert – mit Ausnahme des Burgtheaters. Und im Moment ist auch die politische Situation nicht einladend. Ich bin einfach gerne an diesem Haus, unserem Staatstheater am Gärtnerplatz.
Premiere Freitag (22. März), 19.30 Uhr.
Alle Vorstellungen bis zum Ende der Spielzeit sind bereits ausverkauft.