Berliner Tanzikone Sasha Waltz in der Muffathalle: Blumen statt Viren

Die Berliner Tanzikone Sasha Waltz und ihre Kompanie bringen Terry Rileys "In C" am Dienstag in die Muffathalle.
von  Vesna Mlakar
Eine Szene aus Sasha Waltz' Choreografie von Terry Rileys "In C", das heute in die Muffathalle kommt.
Eine Szene aus Sasha Waltz' Choreografie von Terry Rileys "In C", das heute in die Muffathalle kommt. © Yanina Isla

München - Zweimal mussten Dietmar Lupfer, Geschäftsführer der Muffathalle, und Sasha Waltz ihr Gastspiel-Projekt verschieben. Für den ersten Münchner Auftritt seit 25 Jahren der in Berlin ansässigen zeitgenössischen Kompanie Sasha Waltz & Guests waren das pandemiebedingte Startschwierigkeiten. 1996 machte Waltz' "Allee der Kosmonauten" im Prinzregentheater Furore. Später war noch ihre Operninszenierung "Dido & Aeneas" im Nationaltheater zu sehen.

Sasha Waltz zurück in München

Jetzt ist die renommierte Choreografin, deren hinreißende Anfänge man einst in der Münchner Schauburg hautnah mitverfolgen konnte, endlich zurück an der Isar. Mitgebracht hat sie allerdings nicht - wie ursprünglich geplant - ihr griffiges Signaturstück einer Plattenbau-Familie, sondern das jüngste, unter Lockdown-Bedingungen entstandene Werk "In C". Ein spannendes Unterfangen, dessen minimalistisch repetitive, tempostarke Grundlage Terry Rileys gleichnamige Komposition von 1964 bildet. Damals, mitunter beeinflusst von Drogen, wohl ein Experiment auf der Suche nach Ekstase-Techniken. Unterlegt hat Waltz der Aufführung die 50-minütige Einspielung der New Yorker Musikgruppe Bang on a Can.

"Ich mische gerne die Besetzungen"

Unter anderem aufgrund der Vorteile bei planungsunsicheren Zeiten fiel die Wahl auf "In C". "Ich bin auf keinen bestimmten Cast oder Charakterrollen festgelegt", sagt Waltz. Mittlerweile hat sie dank digitaler Workshop-Aktivitäten einen internationalen Pool von über 50 Tänzern, die das Werk tanzen. "Und ich mische gerne die Besetzungen, so dass Leute der ersten Stunde und neu Dazugekommene ihre Erfahrungen teilen - in Vorstellungen, die sich niemals gleichen. Die Arbeit am Stück war und bleibt eine Art positives Virus für uns. Etwas, das wir den harten Einschränkungen von außen entgegensetzen und womit wir Lebensmut und Lebenslust weitergeben wollen."

Beides, so Waltz, soll sich durch "In C" ganz stark transportieren. "Auch wenn ich statt des Corona-Virus ein Bild aus der Natur genommen habe: Blumen, die erblühen und deren Samen sich im Wind über Städte, Länder und letztlich die ganze Welt verbreiten sollen." Wesentlicher dabei ist die besondere Werkstruktur, basierend auf Rileys zweiseitiger Partitur in C-Dur mit insgesamt 53 sehr kurzen musikalischen Figuren, die variiert werden. Die tänzerische Partitur sei eigentlich identisch, erklärt Waltz mit leuchtenden Augen. "Aber in der Musik gibt es keinen Raum. Deshalb habe ich für die Tänzer 53 choreografische Gesetzmäßigkeiten geschrieben, die sie zu den unterschiedlichen Figuren benutzen können."

Wer die Vorstellung besucht, darf sich also auf ein Spiel gefasst machen, dessen Regelwerk so klar definiert ist wie beim Schach. Entsprechend unendlich sind die Möglichkeiten der Tänzer, sich permanent in ihren Wiederholungen und der Platzierung im Raum untereinander abzustimmen und als Kollektiv aufeinander zu reagieren.

"In C" in der Muffathalle: Technische, konditionelle und intellektuelle Herausforderungen für die Interpreten

Als "Instant-Choreografie" bezeichnet Waltz ihre im März 2021 als Livestream digital uraufgeführte Kreation. Enorme technische, konditionelle und intellektuelle Herausforderungen für die Interpreten sind dabei inklusive. Einige Konstellationen wurden erst im Zuge der Lockerungen ergänzt. So gibt es nun auch eine Funktion, die innerhalb des bewusst offen angelegten und zu Beginn auf Abstand konzipierten Stücks Kontakt erlaubt. "Jede Aufführung ist ein demokratischer Prozess, in dem jeder Einzelne zu jedem Zeitpunkt bestimmt, was auf der Bühne stattfindet. Die Freiheit des Einzelnen ist stets nur in Beziehung zum Ganzen zu sehen. Für mich spiegelt sich darin die gesamte Corona-Situation wider. Das Individuelle kann sich nur so viel Raum nehmen, dass es das Ganze nicht verletzt oder beschädigt."

Wie fast immer bei Sasha Waltz stand am Anfang zu "In C" eine Recherche. Inspiration waren medizinische Fortschritte in Mikrochirurgie und Bewegungsmuster aus dem Tierreich. Inhaltlicher Input für puren Tanz, dessen soziale Komponente hinter Energetik und formstarker Abstraktion steckt. Keinesfalls verpassen.


Gastspiel Sasha Waltz & Guests "In C" am 5. und 6.10., jeweils 20:30 Uhr in der Muffathalle. Karten im VVK zu 22 bis 39 € inkl. Gebühren, unter www.muenchenticket.de, % 54 81 81 81 (vor Ort 3G-Nachweis nötig).

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