Ben Beckers Reise ins "Herz der Finsternis": Böse blicken wie Kinski
Gewöhnliche Pressetermine sind seine Sache nicht. Und auch im Bayerischen Hof, bei der Vorstellung seines neuen Projekts "Apokalypse – Herz der Finsternis", bleibt Ben Becker seinem Ruf des unberechenbaren Exzentrikers treu. Um einen Einblick in seine literarische Auseinandersetzung mit Joseph Conrads 1899 erschienener Erzählung zu geben, die auch heute heiß diskutierte Themen wie Machtmissbrauch und Kolonialismus reflektiert, bittet der charismatische Künstler mit der markant sonoren Stimme um zehn Minuten Ruhe. Ein Exzerpt aus seinem Premierenabend am Prinzregententheater möchte er vortragen, stilecht (trotz Coca-Cola) am antiken Tisch mit Globus und Leselampe.
Als ein Journalist nicht nur spät, sondern auch geräuschvoll zur Türe hereinkommt, unterbricht Becker die Lesung und straft ihn mit einem bösen Blick. Erst nach einem gespenstisch langen Moment geht es weiter, bleibt es im beengten Raum bis zum letzten Satz mucksmäuschenstill.
Leseabend mit Ben Becker: "Zusammenspiel von Zuschauer und Vortragendem"
AZ: Herr Becker, Sie vertrauen in Ihren Bühnenprogrammen neben dem Inhalt auch auf Ihre Präsenz. Worin besteht für Sie der Schlüssel, ein Publikum über 90 Minuten lang zu fesseln?
BEN BECKER: Man muss die Zuschauer mitnehmen wollen auf eine literarische Reise und darf dabei nicht zwanghaft wirken. Ich als Geschichtenerzähler möchte dann aber auch, dass man mich dabei begleitet, mir auch seine Konzentration schenkt. Als Zuhörer lege ich mir ganz bewusst eine Platte auf, weil ich sie hören will. Und da gehe ich nicht in die Küche, um irgendeinen anderen Blödsinn zu machen – es sei denn, es handelt sich um Musik, die beim Bügeln nicht stört. Da bin ich aber nicht für zuständig.
Wie gehen Sie mit Störenfrieden um?
Im Grunde ist so ein Theaterabend auch ein Zusammenspiel von Zuschauer und Vortragendem. Nur wenn beide sich darauf einlassen und nicht stören, kann das auch funktionieren. Wenn aber tatsächlich mal jemand in der zweiten Reihe sein Bonbonpapier auswickelt, höre ich das natürlich auf der Bühne.
Wie reagieren Sie darauf?
Dann mache ich kurz Pause, schaue wie einst Klaus Kinski die entsprechende Person ganz böse an. Und meistens verschwindet so ein Papier dann auch schnell wieder im Boden der Peinlichkeit.
Ärger mit Paparazzo: "Das kostet mich im schlimmsten Fall 5.000 Euro"
Kann so ein Konflikt auch mal eskalieren?
Das ist so noch nie vorgekommen. Richtig Ärger gibt es auch nur für den hartnäckigen Paparazzo, der bei einer ganz sensiblen Stelle Fotos machen will. Im schlimmsten Fall kostet mich dieses "Klick, Klick, Klick" dann 5.000 Euro, weil ich dem Herrn dann verärgert die Kamera aus der Hand nehme – immerhin unter dem Applaus der Zuschauer.
Wie kann man sich Ihre Arbeit am Text, an "Herz der Finsternis", vorstellen, damit er auch kondensiert seine Kraft behält?
Da bin ich zum Glück nicht alleine, profitiere auch von meinen Mitstreitern wie dem Dramaturgen John von Düffel. Die Arbeit hört allerdings nie auf. Auch dieser Abend hat sich nach der ersten Aufführung vor eineinhalb Jahren in Hamburg noch einmal stark gewandelt. Und selbst wenn ich das Publikum nach meiner Premiere am Prinzregententheater hinter mir weiß, geht die Auseinandersetzung mit dem Text immer weiter. Das gilt im Übrigen auch für meine "Ich, Judas"-Vorführungen nach Walter Jens, auch wenn ich da schon 140 Vorführungen auf der Uhr habe. In dem Moment, wo mir dieses ständige Bearbeiten keinen Spaß mehr macht, breche ich zum nächsten Abenteuer auf.
Sie haben sich den Namen des Autoren Joseph Conrad sogar auf ihren Unterarm tätowiert. Wie weit geht Ihre Liebe für große Literatur?
Das fängt ja schon in der Schule an. Wenn man den Kindern das Verständnis für diese großen Werke, wie die von meinem geliebten Joseph Roth oder auch "Berlin Alexanderplatz", zu vermitteln versteht, steigt man in die Auseinandersetzung mit dieser Literatur ganz anders ein. Döblins Werk habe ich beispielsweise so verinnerlicht, dass damals eine ganze Welt für mich aufgegangen ist. Und dieses Erlebnis ist am Ende, bei aller Vorsicht, doch tiefer und erfüllender als Walt Disney.
"Das Wort Apokalypse ist einfach einprägsam"
Können Sie beschreiben, was Sie an Conrads Werk nachhaltig begeistert?
Das ist nicht einfach in Worte zu fassen, es war aber auf jeden Fall Liebe auf den ersten Blick. Vergleichbar vielleicht damit, als wäre ich ein kleiner Junge, der plötzlich auf ein Piratenschiff eingeladen wird. Da tut sich doch eine Welt auf, in der man für eine Zeit nicht nur lebt, sondern in der man sich auch Zuhause fühlt. Das Gefühl davon einfach nicht mehr loszukommen hatte ich schon bei der ersten Lektüre von Conrads Roman "Die Rettung". So auch bei Kafka, nicht aber bei Jack London und Ernest Hemingway.
Coppolas "Apocalypse Now" hat sich auch bei "Herz der Finsternis" bedient. Fließt diese epochale Verfilmung der Erzählung auch in den Theaterabend mit hinein? Die Betitelung spielt ja bereits darauf an.
Für mich gab es als Kind nichts Größeres, als mit meinem Vater in den Zoopalast Berlin zu gehen. Und dort habe ich mit ihm 1979 auch dieses Monumentalwerk gesehen. Ein bleibendes Erlebnis, so wie in etwa Spielbergs "Der weiße Hai". Mit der Betitelung des Abends hat das aber weniger zu tun.
Warum dann "Apokalypse"?
Wenn ich über den Abend "Herz der Finsternis" schreibe, hat das nicht diese Wirkung, diese Anziehungskraft. Und ich trage ja auch eine finanzielle Verantwortung für den kleinen Zirkus, der mich bei all den Auftritten begleitet. Das Wort Apokalypse ist einfach einprägsam. Und damit verbinde ich ganz banal auch die Hoffnung, dass sich mehr Menschen dafür interessieren.
Ben Becker: "Blödsinn machen können die anderen im Privatfernsehen"
Als geradezu apokalyptisch empfindet so mancher aber auch die Zeit, in der wir leben.
Ja, das passt, ganz grob gesagt wie Arsch auf Eimer. Der Abend ist auch eine Konfrontation mit der totalen Realität, allerdings entstanden im Jahr 1899. Grundsätzlich habe ich auch ein Faible für diese poetische Form der Konfrontation mit realen Geschehnissen. Blödsinn machen können ja die anderen im Privatfernsehen.
Arbeiten Sie in der Textbearbeitung auch mit Verweisen auf die Jetztzeit?
Die Assoziation gibt es bei mir nur im Bühnenbild, das bewusst nicht kolonialistisch gehalten und an Samuel Becketts "Das letzte Band" angelehnt ist. Das geht in die Richtung eines Kriegsveteranen, der in den Bunker geht, dort seine Tonbänder sortiert und seine Geschichte erzählt. Sprich: eine bewusst zurückhaltende Interpretation. Ich halte mich da an die Maxime meines Vaters Rolf Becker: "Nur lesen, was da steht." Und der Text ist sich hier selbst genug.
Arbeiten Sie bei der Fülle an Figuren auch mit verschiedenen Stimmen?
Natürlich hebt sich die Stimme von dem Erzähler Marlow oder der des dämonischen Kurtz ab. Dessen geheimnisvolle Stimme erinnert zwangsläufig an Marlon Brandos Interpretation in "Apocalypse Now". Das will ich auch gar nicht leugnen. Das ist wie der erste Auftritt vom Tod beim "Jedermann" in Salzburg. Auf ihn und sein langgezogenes "Jeeedermannn" warten doch alle. Und dennoch will ich nicht übertreiben, vertraue lieber auf die Kraft der Fantasie der Zuschauer. Das bin ich so großer Literatur auch schuldig.
Ben Beckers "Apokalypse –Herz der Finsternis" am 11. Oktober um 20 Uhr im Prinzregententheater
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