Bei den Proben zu "Spartacus"
MÜNCHEN - Kaum ein Handlungsballett ist so mitreißend und zugleich befremdlich wie „Spartacus“. Geradezu magisch scheint dieses Historiendrama um den geschichtlich verbürgten Gladiator Spartacus Tänzer anzuziehen. Bolschoi-Übervater Yuri Grigorovich übersetzte es 1968 zur Musik von Aram Chatschaturjan in martialisch-brutale wie elegische Ballettpower.
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Männer beherrschen den Großteil des Dreiakters – kampfeslustig und durch zahlreiche Aufmärsche, diverse Schlachtformationen und endlose Sprungfolgen körperlich aufs Äußerste gefordert. Am Ende wird der Sklaven-Aufstand durch Crassus blutig niedergeschlagen. Wir schreiben das Jahr 71 vor Jesus Christus.
Massiver Gebrauch von Waffen – auf Seiten der Rebellen runde, bei den Römern eckige Schilde! – soll der Demonstration maskuliner Entschlossenheit dienen. Doch während der ersten Bühnenprobe grinsen sich einige Vertreter der gegnerischen Lager plötzlich an. Wer zu den Gewinnern, wer zu den Verlierern gehört, wird im Getümmel von Durchlaufproben schon mal verwechselt. Und weil in München weniger Kämpfer als im Moskauer Bolschoi-Theater zur Verfügung stehen, müssen einige recht oft Outfit und Gebaren ändern.
Legionäre im Stechschritt
Mitleid beim unerbittlichen Tempo können die Tänzer von Karen Durgaryan, dem klangsicheren Armenier am Pult, nicht erwarten. Ebenso wenig die gelegentlich ballettermüdeten Musiker des Bayerischen Staatsorchesters. „Sorry, it’s very important!“, insistiert der Maestro, indem er den Instrumentalisten fordernd seine Hände entgegenstreckt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt niemand seinen Part voll austanzt, ist faszinierend, wie das Ensemble trotz technischer Höchstschwierigkeiten zu einer zweckgebundenen Einheit wird. Ein Erlebnis, dem man sich bei diesem oft als langatmig und altmodisch verpönten Ballett unbedingt live aussetzen muss.
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Legionäre marschieren im Stechschritt und revoltierende Sklaven hechten in hohen Sprüngen über die Bühne. Zurück im Probensaal mutiert einer der Tänzer, etwas abseits, stylisch zum Breakdancer. Erstaunlich, diese leichthin in Bewegungsspaß umgesetzten Konditionsreserven. Sie sprechen für das generelle Timing und eine überlegte Programmplanung des neuen Ballettdirektors Igor Zelensky. „Spartacus“ – die erste Neueinstudierungspremiere unter seiner Leitung – ist ein gutes Stück für junge, vor Kraft und Motivation strotzende Interpreten.
Sowjetisches Pathos
Eine erste Ballettfassung des Stoffs erstellte Nikolai Wolkow 1933 auf Basis von Raffaello Giovagnolis Roman „Spartacus – Feldherr der Sklaven“. Auch der bald 90-jährige Grigorovich, Russlands einflussreichster Choreograf der Sowjet-Ära, wie John Cranko oder Maurice Béjart 1927 geboren, nutzte das Buch als Inspirationsquelle. Sein auf vier Hauptfiguren reduziertes Balletttheater kommt fast ohne Pantomime aus. Seelische Befindlichkeiten werden in solistischen Monologen offengelegt.
Der eitle Crassus liebt das Leben zwischen Eroberung und Dekadenz. Ein Rollenprofil, das sich laut Ballettmeister Ruslan Pronin nicht einfach so anlernen lässt. Diesen arroganten Charakter, meint er, müsse man in einer Ecke seiner Persönlichkeit schon in sich tragen. In den Startlöchern stehen Jonah Cook und am Premierenabend Gaststar Sergej Polunin. Beide debütieren in dieser Partie. Crassus’ intelligente, intrigante und auf den eigenen Vorteil bedachte Geliebte Aegina ist – ebenfalls zum ersten Mal - Natalia Osipova (gefolgt von Ksenia Ryzhkova).
Ein Bolschoi-Klassiker
Seit Anfang September probt der ehemalige Bolschoi-Solist Pronin mit den Tänzern des Bayerischen Staatsballetts. Wie seine Kollegin Oxana Tsvetnitskaya braucht er keinerlei Aufzeichnungen. Beide Grigorovich-Assistenten kennen alle Tücken und Details der 48 Jahre alten Choreografie in- und auswendig. Mit umwerfender Genauigkeit demonstrieren sie jede musikalische Betonung, die perfekte Akzentuierung und Sinngebung jeder Bewegung.
Dabei fiel ihnen auf, dass sich die aus Russland hinzugestoßenen Kompaniemitglieder viel schwerer mit den expressiv-modernen, sich permanent ins Extreme steigernden Schrittelementen der Choreografie taten als Kollegen, die beim Bayerischen Staatsballett bereits Erfahrungen in diversen Tanzstilen sammeln konnten. „Spartacus“, das Aushängeschild des Bolschoi, Inbegriff sowjetischer, energiegeladener Ballettkunst, fordert den Interpreten alles ab.
Aufstand der Unterdrückten
In seiner aktiven Zeit tanzte Pronin oft den im erzwungenen Zweikampf getöteten Gladiator. Eine Schlüsselszene, die den Aufstand der Unterdrückten unmittelbar auslöst. Die Tragik der Ereignisse wird zudem durch die Trennung des Ehepaars Spartacus (Osiel Gouneo/Vladimir Shklyarov) und Phrygia motiviert. „Ich genieße es, diese dramatische Rolle zu tanzen. Man muss vieles rein körperlich zeigen. Es wird einfach nie langweilig.“ Dass ihre Phrygia einen guten Charakter und im dritten Akt sogar einige ruhige Momente hat, mag Ivy Amista.
Lyrische Passagen sind die Ausnahme in dem Kriegsstück, dem eine inhaltliche Entwicklung abgeht. Dafür ist Chatschaturjans Musik von Anfang an sehr bildstark und dominant. Grigorovichs Choreografie wird erstmals von einem westeuropäischen Ensemble getanzt. Aufgabe aller Münchner Protagonisten ist nun, mit ihrer technischen Brillanz und Bühnenpräsenz diesen „Spartacus“ zum Erfolg zu führen.
Premiere am 22. Dezember, 19 Uhr, im Nationaltheater. Weitere Vorstellungen am 23., 25., 29. Dezember sowie am 3., 6., 11. Januar 2017. Karten unter Telefon 089 2185 1920