Bayreuther Festspiele: Rot-Rausch auf dem Grünen Hügel

Bayreuth - Wagners "Ring" an einem Tag – wann schafft man das schon in Bayreuth? Und zwar nicht im humorigen Zusammenschnitt eines Studiotheaters und auch nicht in der Kinderversion. Auf dem Grünen Hügel dürfte dieser Schnelldurchgang einmalig bleiben. Und das, obwohl am Donnerstag die womöglich längste und leider auch langatmigste "Walküre" der Festspielgeschichte über die Bühne ging. Das kann zäh werden, wenn der Finne Pietari Inkinen im nächsten Sommer dann den kompletten neuen "Ring des Nibelungen" dirigieren wird, der bereits im letzten Jahr angesetzt war.
Die letzten Werke Wagners sind bis heute in Stein gemeißelt
Vielleicht versteht der Chef der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern die vielen Buhs als Wink mit dem Zaunpfahl, seine trägen Tempi samt dynamischem Einheitsbrei grundlegend zu überdenken. Corona bietet ja auch Chancen. Man mag es schon nicht mehr aufschreiben, aber selbst der gelockert unkonventionelle Umgang mit Richard Wagners Tetralogie wäre in normalen Zeiten kaum denkbar. Das Festspielhaus ist für just diese 16, 17 Stunden "Ring" gebaut worden. Zumal die zehn letzten Werke Wagners, die hier überhaupt aufgeführt werden dürfen, bis heute in Stein gemeißelt sind.
Immerhin hat sich Intendantin Katharina Wagner klar an die "Ring"-Titel gehalten. Dass man bei Näherung an den Hügel gleich mit der "Götterdämmerung" konfrontiert wird, hängt freilich mit der Entscheidung für eine Installation der Künstlerin Chiharu Shiota zusammen, die bis zum Ende des Festivals fix im Park bleiben wird. Sofern sich nicht erkundungsfreudige Passanten im signalroten Geflecht aus Ringen demolierend verheddern.

Auf der Biennale von Venedig hat die Wahlberlinerin aus Osaka den Japanischen Pavillon 2015 mit zwei Kähnen bespielt, über denen sich ein dichtes Netz aus roten Fäden erhob. In diese feuerrote Wolke waren unzählige Schlüssel eingeknüpft, die vom Schutz der Behausung, aber auch vom Öffnen und Erkunden neuer Räume erzählen. Das war betörend und in ganz unterschiedliche Richtungen zu deuten. Die ebenso rote Knüpf- und Flechtarbeit in Bayreuth, die laut Shiota auf die Fäden der Nornen, auf Blut, Vergangenheit und Zukunft Bezug nimmt, reicht dagegen über das Dekorative kaum hinaus.
Hunderte Liter Farbe kippen auf die Bühne
Auf den ersten Blick ist das auch bei Hermann Nitschs Malaktion zur halbszenischen "Walküre" der Fall. Es patscht und platscht auf der gesamten Bühne, von oben rinnt und tröpfelt es die Stellwände hinab, die Helfer des 82-jährigen Großmeisters schütten und kippen Hunderte Liter Farbe. Nitsch lässt eben seine übliche Show abspulen, das einst so verschreckende Orgien-Mysterientheater ist eh zahm geworden, Gedärm und Tierblut sind längst verbannt. Doch das Rühren am Mythos, das im Ansatz Dionysische ist geblieben, ganz egal, was Nitsch mit seiner performativen Kunst begleitet.

Man darf ihm das im Fall der "Walküre" nicht zum Vorwurf machen. Nitsch hatte freie Hand, etwas ganz unabhängig vom Stück zu konzipieren. Mit wie immer erwartbarem Ergebnis. Den Wagner-Verehrer scheint es dann im Lauf der Vorbereitungen aber doch mitgerissen zu haben. Jedenfalls passen die Farben stellenweise zum gerade verhandelten Inhalt. Siegmund und Sieglinde finden sich im grünblauen "Tann", wenn das Wälsungenblut blüht, wird es rot bis dunkelrot, und ganz zum Schluss muss selbstredend feuriges Rot her, das – stellvertretend für Brünnhilde – eine Gekreuzigte mit verbundenen Augen umgibt. Kruzifix und Monstranz beschließen dann sogar die "Walküre".
Doch was zuweilen an den Nerven rieb, hat letztlich für eine gewisse Kurzweil gesorgt, die ja recht eigentlich in der Musik steckt. Da konnte das sehr durchwachsene Sängerensemble noch so rühren und rudern. Nicht einmal dem Walkürengeschwader gelang es, Drive in die lahme Tour zu bringen, ihr Ritt dürfte der langweiligste der Bayreuther Festspielgeschichte gewesen sein.
Die früh mit Erfolg verwöhnte Sopranstimme
Man musste sich also schon an einzelnen Wohlklängen laben wie Siegmund am Quell. Lise Davidsen hat da das schönste Material, vor allem wenn ihr klarer Sopran fließen und dabei strahlen darf. Besonders modulationsfähig ist die Stimme nicht, auf Feinheiten und Zwischentöne wartet man vergebens. Aber das könnte noch werden, sofern die früh mit Erfolg Verwöhnte an sich arbeitet.
Der maskuline, verzweifelte Siegmund zählt sicher nicht zu den Paraderollen Klaus Florian Vogts, mit gewissen Ungenauigkeiten hat er sich dennoch gut geschlagen. Gegen den düster-dunklen Hunding von Dmitry Belosselskiy muss ein abgekämpfter Held schon in Bestform sein, um gegenzuhalten. Und da wir gerade bei den Auseinandersetzungen sind: Christa Mayer ist zwar keine Fricka, aber dieser hügelverbundene Allzweck-Mezzo gestaltet die Göttergattin als klug argumentierende, ewig Betrogene, die nicht keift, sondern ihr Gegenüber vielmehr durchschaut hat.
Wäre da noch das Vater-Tochter-Gespann, das sich in einer Sache absolut einig ist: kein halbwegs verständliches Wort preiszugeben. Bass-Bariton Tomasz Konieczny ist für Günther Groissböck eingesprungen, der in allerletzter Minute das Handtuch warf, weil er angeblich den Text noch nicht drauf hatte. Die in schlichte schwarze Gewänder gehüllten Solisten – das antike Drama lässt grüßen – sangen ohne Noten. Insofern hat ein schneller Ersatzmann immer das Nachsehen, doch von Gesang, geschweige denn von wohltönendem Gesang war Konieczny schon vor Jahren meilenweit entfernt. Genauso hat Brünnhilde Iréne Theorin die besseren Zeiten hinter sich.
Allerdings sind zerdehnte, unentschiedene Tempi auch nicht eben hilfreich, einen kraftraubenden Wagner-Part zu überstehen. Dass diese "Walküre" nicht ganz auf der Strecke blieb, ist den formidablen Leuten im Graben zu verdanken. Aber das muss man als Dirigent trotzdem schaffen: einen Feuerzauber so ziemlich ohne Glimmen hinzulegen.
Drachenkampf durch Virtual-Reality-Brille
Ein totales Gegenstück zu diesem Tran ist Jay Scheibs "Siegfried", den man tatsächlich schnell abgehakt hat. Etwa drei Minuten dauert der Drachenkampf, den man via Virtual-Reality-Brille (wankend) in der Pause durchstehen darf. Und wie sich’s in Bayreuth gehört, wird im exakt getroffenen Festspielhaus gemetzelt. Der animierte Grusel-Lindwurm aus dem Splatter-Imperium fliegt über den Stuhlreihen, das Schwert, das plötzlich vor der Hand erscheint, ist so treffsicher, dass selbst ein Blinder den entscheidenden Stich ins Herz hinbekommt. Aber das sorgt im akustisch so faden "Walküren"-Bad zumindest für einen kleinen, wenn auch vorprogrammierten Sieg vor dem ganz großen Weltenbrand.
Die Apokalypse hat kurioserweise im "Rheingold" bereits stattgefunden. Jetzt ist Urmutter Erda dran, nicht mehr nur zu mahnen, sondern zu richten: Loge, den geschmeidigen Strippenzieher, Verführer und schließlich Brandstifter, der sich immer rechtzeitig aus dem Staub macht.

Auf eine Stunde haben Komponist Gordon Krampe, der mit Preisen überhäufte Autor Paulus Hochgatterer sowie der Regisseur und Puppendompteur Nikolaus Habjan ihre Verhandlung "Immer noch Loge" konzentriert. Das Personal ist ja auch überschaubar geworden, Götter und Menschen sind bis auf Wotans Glasauge zu Asche verbrannt. Nur die drei Rheintöchter können das schräge Quintett im Festspielweiher komplettieren. Und bei vier Frauen zieht der Feuergott, dem sonst vor allem die Männer auf den Leim gehen, endlich den Kürzeren. Klappmaulpuppen als Alter Egos dürfen wunderbar brutal sein und das ausführen, was die Sänger am Ufer gerade musikalisch frisch und frech zwischen Weill, Strauss und verballhornt Wagnereskem erörtern.

Dabei ist diese Abrechnung eine der umfassenden Art und frei nach "Fridays for Future" an einem Freitag anberaumt. Wer trägt die Verantwortung an der zerstörten Welt? Wer zahlt die Rechnung? Loge muss sich einen Sprengstoffgürtel umlegen. Das ist natürlich absurd, denn ein Berufszündler hat wahrscheinlich noch Spaß an der Explosion. Am Ende gehen jedenfalls alle baden, auch die Sänger (Daniela Köhler, Stephanie Houtzeel und Günter Haumer). Und Loge hüpft womöglich wie neugeboren in die nächste böse Welt. Erda weiß das, aber da ist diese archaische Bewahrerin letztlich doch machtlos.