Bayerisches Staatsballett und "Cecil Hotel": Serienmörder im Clinch

Das Bayerische Staatsballett tanzt Andrey Kaydanovskiys "Cecil Hotel" als Montagsstück im Nationaltheater.
von  Vesna Mlakar
Abschied mit Wischmopp: Der Tänzer Dustin Klein bei seinem letzten Auftritt als Ensemblemitglied des Bayerischen Staatsballetts.
Abschied mit Wischmopp: Der Tänzer Dustin Klein bei seinem letzten Auftritt als Ensemblemitglied des Bayerischen Staatsballetts. © Foto: S. Ghericu

Wie gruselig! Mit 35 Minuten Dauer steht - zumindest virtuell - Andrey Kaydanovskiys hypnotischer Einakter "Cecil Hotel" wieder auf dem Programm.

Nicht im Prinzregententheater, sondern live getanzt auf der Bühne des Nationaltheaters, als kompaktes "Montagsstück XVI" der Bayerischen Staatsoper. Ein sprunghaft geheimnisvoller, von Mördern, ihren Leichen und dem Geist einer ertränkten Studentin (Séverine Ferrolier als Elisa Lam) gepflasterter Parcours, der in seiner mit schwarzem Humor gespickten Begebenheitsdichte inhaltlich von hinten aufgerollt wird.

Bloß nicht den roten Krimifaden verlieren!

Allerdings kommen die abrupten Bühnenlichtschnitte daheim anders an. Digitalität und Theateratmosphäre sind eben zwei verschiedene Dinge. Das immer wieder auftretende Nichts auf dem Bildschirm kann einen schon in Panik versetzen - nach dem Motto: Bin ich noch drin, steht die Verbindung noch? Außerdem fällt es schwerer, den roten Krimifaden nicht zu verlieren bei einer Kameraführung, die - was ja eigentlich schön ist - mehr Nähe zu den Protagonisten herstellt als bloß das Setting aus Lobby, Türen, angedeuteten Stockwerken, Aufzügen, Flur mit Läufer und überlaufender Wanne im Ganzen wiederzugeben.

Dabei werden die Räumlichkeiten ständig neu aus verschiedenen Blickwinkeln bespielt. Zum Scheitern ist verurteilt, wer in diesem kriminologischen Entwirrspiel gedanklich zu früh aussteigt. Man darf keinesfalls aufhören, an den übers Parkett hagelnden Handlungssplittern, sich ständig überkreuzenden Aktionssträngen und innerlich getriebenen Figuren, die allesamt verdächtig auftreten, mit zu puzzeln.

Wiedersehen mit der fulminanten Originalbesetzung der Uraufführung 

Da der Haus-Choreograf Kaydanovskiy derzeit parallel in Kleingruppen an seiner Neukreation "Der Schneesturm" nach einer Erzählung von Alexander Puschkin probt (Premiere am 16. April), gibt es ein Wiedersehen mit der fulminanten Originalbesetzung der Uraufführung vom Juni 2019. Zuvorderst Jonah Cook als Jack und Ksenia Ryzhkova als Prostituierte. Was für ein Comeback für ein (auch privates) Paar nach einer Spielzeit in Zürich, gemeinsamem Kind und Ryzhkovas beachtlichem gestreamten Debüt als Odile/Odette in Ray Barras Corona-"Schwanensee" im Dezember!

Hotel mit berüchtigt-morbider Tristesse 

Jinhao Zhang und Carollina Bastos geraten als Serienmörder Richard Ramírez und Betty aneinander. Dass sie ihn im Kleiderschrank ihres Zimmers überrascht - oder umgekehrt - hat fatale Folgen. Schüsse fallen. Dann lässt der Mann den leblosen Körper der Frau in seinen Armen tanzen. Er spielt tote Maus mit ihr, bis ihm katzentypisch plötzlich die Lust vergeht.

Robin Strona dagegen bleibt in seiner transsexuellen Aufmachung ein letztlich aus Versehen aus dem Fenster stürzender, larmoyant-suizidaler Einzelkämpfer. Alles gute Gründe, sich mal wieder einer nichtlinearen Erzählstruktur hinzugeben und von nicht stets logisch vorgeprägten Verbrechergehirnen in die berüchtigt-morbide Tristesse der tatsächlich in Los Angeles existierenden Hotel-Location entführen zu lassen.

Kurzfristig hatte sich zudem eine - sicher durch die Pandemie beschleunigte - Karriereentscheidung dazugesellt. Mit der Rolle des Lobby-Boys stiehlt sich Halbsolist Dustin Klein, ein gebürtiger Landsberger, aus dem Bayerischen Staatsballett, hygienekonform mit einem Wischmopp als letztem Tanzpartner. Kann das wirklich der Abschied eines tollen Tänzers nach 13 Jahren am Haus sein?

Übertragung leider kalt abgedreht

Ab sofort will sich Klein voll auf seine zweite, bereits gut angelaufene Karriere als Choreograph konzentrieren. Das macht Hoffnung, ihm in Oper oder/und Tanz noch oft zu begegnen - als Drahtzieher hinter den Kulissen.

Gemeinsam mit Ausstatterin Karoline Hogl war das Timing der ineinander übergreifenden Szenen perfekt an die neuen Raumbedingungen angepasst worden. Dass die Produktion an den Max-Joseph-Platz umgezogen ist, merkt man lediglich anhand der optischen Einstimmung mit den Kameraschwenks über die Theaterfassade und die Ränge des verwaisten Zuschauerraums.


Die Aufführung kann noch einen Monat lang als Video-on-demand für 4,90 Euro auf der Website der Staatsoper abgerufen werden.

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