Bayerisches Staatsballett: Shakespeare und Fischwesen

Das Staatsballett zeigt im Prinzregententheater Uraufführungen von Charlotte Edmonds, Özkan Ayikund Emil Faski.
von  Vesna Mlakar
Emilio Pavan als Othello.
Emilio Pavan als Othello. © Marie-Laure Briane

München - Physis - eingefroren in einem hyperdramatischen Moment. Emil Faskis "Othello" beginnt und endet in dem Augenblick, als die Titelfigur - kernig-brillant getanzt von Emilio Pavan - sich mit einem Hechtsprung in den Dolch stürzt. 

Ksenia Ryzhkova glänzt als Desdemona

Das noch Genialere am Erzählduktus des russischen Choreografen aber ist, das er dieses Bild am Schluss um einige Sekunden zurückspult, bevor über seiner Uraufführung für den Premierenabend "Heute ist Morgen" des Bayerischen Staatsballetts das Licht ausgeht.

Bildgewaltig und in jeder Hinsicht expressiv ausgetüftelt ist diese furiose Shakespeare-Adaption, die in 35 Minuten den abendfüllenden Stoff gedehnt-rasant vor Augen führt. Faski hat den Fokus in Othellos Kopf verlagert (Emilio Pavan): in die letzten Sekunden vor seiner Selbsttötung, nachdem er Desdemona, obgleich unschuldig, ermordet hat.

Die Eifersuchtstat selbst bleibt eine Fußnote. Stattdessen erwachen die Opfer der Intrige wieder zu Leben, plötzlich wirkungsvoll im hinteren Bühnenbereich zu sehen. Othello bzw. seinen Schädel scheint das sich von Zweifeln hin und hergerissene Zurückdenken phasenweise unter retrodumpfen Klängen schier von innen heraus zu zerreißen. Wie auch nicht. In der Rolle seiner nichtsahnend zauberhaft dahingetupften Desdemona muss man Ksenia Ryzhkova einfach erleben!

Man ist regelrecht geplättet von Ayiks Kunstfertigkeit

Dass Özkan Ayik - wir erinnern an seine gelungene Rollenkreation des Zampano in Marko Goeckes "La Strada" am Gärtnerplatztheater - für das Staatsballett eine 15-minütige Arbeit kreiert, war ursprünglich ebenso wenig vorgesehen wie bei Faski. Beide kamen anstelle von Philippe Kratz und des in New Yolk lebenden Yoshito Sakuraba.

Man ist regelrecht geplättet von Ayiks Kunstfertigkeit, den leeren Raum mittels gewiefter Formationen sprechend-spannungsgeladen zu bespielen. In "Tag Zwei" zu elektronischen Sounds des Musikers Loscil macht er das mit sechs schwarz wie die Bühne gekleideten Tänzern. So können Maria Chiara Bono, Margarita Grechanaia, Mia Rudic, Nikita Kirbitov und Sergio Navarro im Stück zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit dahingleiten.

Nervös-exzentrischer Vortänzer ist der erst seit Frühjahr 2021 im Corps de ballet engagierte Kanadier Shale Wagman, der auch in Sharon Eyals "Bedroom Folk" bestens besetzt ist. Ayik versetzt diesen vor Energie überbordenden Tänzer derart zackig in Bewegung, dass man dahinter durchaus den Einfluss von Goecke merkt. Der ist jetzt Chef des Staatsballetts Hannover, zu dem Ayik gewechselt ist. Nichtsdestotrotz atmet sein von intensiver Armgestik und dazwischen am Hinterkopf mit abstehenden Ellbogen ruhig angedockten Handflächen durchaus eigene Originalität.

Ob die in London ausgebildete Charlotte Edmonds den in Stuttgart beheimateten Eric Gauthier und dessen "Ballett 102” (Repertoirebestandteil des Junior Ballett München) kennt, in dem die Tänzer von einer Stimme aus dem Off zu Spagatleistungen aufgefordert werden? Wir wissen es nicht. In einer Solosequenz jedenfalls bedient sie sich derselben Masche.

Körper schweben, schlängeln oder driften sanft auf Spitzen durch das Ambiente

Edmonds ist 25 Jahre jung und präsentiert zum Auftakt einen eigenwillig bunten Beitrag, ohne in ihrer Ausstattung jemals schrill zu werden. Im Gegenteil. In "Generation Goldfish" flutscht alles im Wechsel gedimmter Unterwasser-Lichtstimmungen. Wir tauchen ab in eine sechsköpfige Fischglas-WG mit persönlichen über die Bühne verteilten Wohlfühlinseln: Bad mit Wanne, Schreib- bzw. Küchentisch, Sofa mit Bügelbrett und TV-Gerät oder Stuhl nebst Zimmerpflanze. Mittendrin Marina Duarte, Navrin Turnbull, Severin Brunhuber, Rafael Vedra, Carollina Bastos und Vera Segova, deren mal solistisch, mal im Duett respektive im Schwarm zusammengefasste Tagesabläufe blubbernde, glucksende und hörbar gurgelnde Kollagen von Katja Richardson bestimmen.

Kein Scherz, hier wird einem wohldurchdacht Menschlichkeit von Fischwesen mit paddelnden Gliedern, elegant-kräftigem Beinschlag und filigran zitternden Flossenhänden präsentiert. Die Körper schweben, schlängeln oder driften sanft auf Spitzen durch das Ambiente. Es gibt auch eine herrliche Nummer mit der Wanne. Und es sieht fantastisch aus.


Noch bis 27. Juni, jeweils 19.30 Uhr im Prinzregententheater. Karten unter Telefon 2185 1903

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