Bayerische Staatsoper: "7 Deaths of Maria Callas" - Heldin mit gebrochenem Herzen

Heutzutage performt an jeder Hausecke irgendjemand etwas. Weil der Begriff "Performance" auf diese Weise ziemlich verwässert und in Verruf geraten ist, schadet es nicht hin und wieder an die Klassiker des Genres zu erinnern. Etwa an "Lips of Thomas", uraufgeführt 1975 in der Innsbrucker Galerie Krinzinger und zuletzt gezeigt 2005 von Marina Abramovic im Museum of Modern Art (MoMa) in New York.
Die heute 73-jährige Künstlerin, die nun den Abend "7 Deaths of Maria Callas" an der Bayerischen Staatsoper inszeniert hat, aß damals erst ein Kilo Honig, das sie mit einem Liter Rotwein hinunterspülte. Dann ritzte sie sich mit einer Rasierklinge einen fünfzackigen Stern in den Bauch, geißelte sich und legte sich auf Eisblöcke, bis besorgte Zuschauer die Performance abbrachen.
Eine sich selbst nicht schonende Radikalität zieht sich durch das ganze Werk der Künstlerin. 1988 ging sie ihrem langjährigen künstlerischen und privaten Partner Ulay 2500 Kilometer auf der Chinesischen Mauer entgegen, um sich dann endgültig von ihm zu trennen. Bei "The Artist is Present" saß sie 2010 drei Monate lang im New Yorker Museum of Modern Art Tag für Tag auf einem Stuhl, um 1565 Besuchern in die Augen zu blicken. Auch Ulay erschien, Marina Abramovic weinte und reichte ihrem einstigen Partner die Hände.
Angesichts so emotionaler Momente liegt es nah und zugleich fern, die 1946 in Belgrad geborene Künstlerin mit der Oper zusammenzubringen. Nah, weil die für Abramovics Arbeiten zentrale Frage des Schmerzes und seiner Überwindung das Musiktheater seit seiner Erfindung umtreibt. Fern, weil die Direktheit einer Performance nicht ohne weiteres mit der im traditionellen Theater üblichen arbeitsteiligen Wiederholung und der Einhegung des Privaten und der Gefühle zusammengeht.
Die Erfahrung, dass sich die darstellenden Künste des Theaters und Performance bisweilen fremd sind, hat auch Marina Abramovic gemacht. Beim Pressegespräch vor der Premiere zu "7 Deaths of Maria Callas" erzählt sie eine Anekdote aus ihrer Zusammenarbeit mit dem Regisseur Robert Wilson. Er habe 2012 bei der Arbeit an der szenischen, auch Privates berührenden Autobiofiction "The Live and Death of Marina Abramovic" zu ihr gesagt, sie möge endlich mit ihrem "Bullshit-Crying" aufhören. "Nicht Du sollst weinen, sondern das Publikum!"
Der Schmerz und seine Überwindung ist auch das Leitmotiv von "7 Deaths of Maria Callas". Sieben verschiedene Arien, die Maria Callas interpretierte, werden von sieben Sängerinnen vorgetragen. Dazu spielt Marina Abramovic in einem Film den Tod der jeweiligen Opernfigur. Die Rolle des Gegenspielers übernimmt im Film der Schauspieler Willem Dafoe. "Für Maria Callas war der Mann, der sie auf der Opernbühne tötete, immer Aristoteles Onassis", sagt Marina Abramovic dazu. Danach tritt die Performerin selbst auf: Sie liegt im Bett der Wohnung von Maria Callas, in der die Sängerin 1977 im Alter von 57 Jahren starb, an einer Mischung aus Tablettenmissbrauch und gebrochenem Herzen.
Von dieser Krankheit bezeichnet sie sich nach einer schwierigen Trennung geheilt. "Verlieben Sie sich nie in einen Italiener!" scherzt sie. Die Flucht in ihre Arbeit habe ihr dabei geholfen. Und das trenne sie auch von Maria Callas: "Sie hatte kein Recht, ihre Karriere aufzugeben. Mich irritiert, dass sie in einem Interview gesagt hat, dass sie am liebsten Hausfrau geworden wäre. Denn Talent ist eine Verpflichtung."
Marina Abramovic hörte die Callas zum ersten Mal mit 14, als sie mit ihrer Großmutter Radio hörte. "Ich war wie elektrisiert", sagt sie. "In ihrer Stimme war etwas, das mich zwang, sofort aufzustehen. Danach wollte ich alles über die Sängerin wissen." Das Callas-Projekt treibt die Künstlerin schon lange um. Ursprünglich sollte es eine Folge von Kurzfilmen mit sieben prominenten Regisseuren werden. "Es ist mir aber nie gelungen, Regisseure wie Roman Polanski oder Lars von Trier zusammenzubringen. Außerdem fehlte mir das Geld dafür." Dann fragte Nikolaus Bachler an, ob sie "Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók inszenieren wolle. "Das interessierte mich nicht", sagt Abramovic. Aber sie schlug dem Intendanten der Bayerischen Staatsoper das Callas-Projekt vor, das ihn innerhalb von drei Minuten überzeugte.
Der aus Serbien stammende Komponist Marko Nikodijevic schrieb für "7 Deaths of Maria Callas" eine Ouvertüre, Zwischenspiele und die Musik für die Schlussszene. Im vergangenen Frühjahr war die Produktion bereits in den Endproben, als wegen der Corona-Pandemie alle Theatervorstellungen abgesagt wurden. Marina Abramovic verbrachte die Zwischenzeit in einem Landhaus bei New York, wo sie per Zoom Vorlesungen vor Studierenden in der ganzen Welt hielt und Gemüse züchtete.
Nun dürfen in München fünfmal jeweils 500 Zuschauer "7 Deaths of Maria Callas" im Nationaltheater sehen, ehe die Aufführung dann in Berlin, Athen, Paris und beim Maggio Musicale Fiorentino in Florenz zu sehen ist. Die Zuschauer-Beschränkung ärgert die Künstlerin. Aber das Unkontrollierbare und Unerwartete gehört zum Kern einer Performance. Womöglich sensibilisiert die relative Einsamkeit im Theater die wenigen Zuschauer, und es mag sein, dass sich auf diese Weise auch ohne Blut und Körperflüssigkeiten die besondere Intensität einer Performance einstellt, die sonst in einem Theater eher ausgeschlossen scheint.
Die Aufführung vom 5. September wird ab 18.30 Uhr live und kostenlos auf staatsoper.tv übertragen und steht danach 30 Tage auch als Video-on-Demand zur Verfügung.