Barockoper "Talestri": Großer Bogen

Die Barockoper "Talestri" der Kammeroper München im Hubertussaal Nymphenburg.
Adrian Prechtel
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Serafina Starke und Cecilia Gaetani als Amazonenprinzessinnen.
Serafina Starke und Cecilia Gaetani als Amazonenprinzessinnen. © Tobias Melle

Friedrich der Große flötete und hatte Voltaire am Tisch, Katharina die Große kaufte die Bibliothek des Aufklärers Diderot, Herzogs Carl August von Sachsen Weimar dinierte mit Goethe. Denn Bildung und die Beschäftigung mit den Schönnen Künsten waren im Spätabsolutismus das priviligierte, elitäre, distinktive Element des Adels.

Auch Maria Antonia Walpurgis, sächsische Kurfürstin, malte, textete, sang und komponierte. Und ihre Amazonen-Oper "Talestri" wurde 1763 in Dresden uraufgeführt. Vielleicht aber auch schon 1760 und zwar dort, wo jetzt die Kammeroper München die Opera seria spielt - im Hubertussaal des Schlosses Nymphenburg. Denn Maria Antonia Walpurgis war ursprünglich eine bayerische Prinzessin und während einiger Jahre des Siebenjährigen Krieges wieder in München gewesen.

 

Regisseur Wilgenbus diesmal von sanft ernsterer Art

Regisseur Dominik Wilgenbus inszeniert gerne etwas poppig, dabei aber oft historisierend, manchmal kalauernd, dabei fast immer geistreich und meist ein eingedeutschtes Libretto. Diesmal erlebt man eine sanft ernstere Art. Die Handlung ist leicht verworren. Es geht um zwei Prinzessinnen, von denen die eine, eben die Titelfigur Talestri, Königin werden soll, sich aber aida-haft in einen kriegsgefangenen Skythen-Prinzen (Jan Wouters) verliebt hat. Der soll - trotz Gegenwehr seines Freundes (Artur Garbas) und Mithilfe der anderen Prinzessin (Serafina Starke) - von einer Priesterin (Johanna Beier) hingerichtet werden, weil ja alle amazonenhaft einen Männerhass-Schwur geleistet haben. Dass das Opfer auch noch der eigene Sohn aus der vorherigen Kriegsgefangenschaft der Priesterin bei den Skythen war, ist dabei psychologisch radikalisierend.

 

Dass die Herzogin ursprünglich auch noch selbst die Titelrolle sang, nimmt Wilgenbus zum Anlass, das Werk autobiografisch anzupacken - mit einer schauspielerischen Rahmenhandlung: Maria Antonia Walpurgis ist stimmlich indisponiert und muss nun mit der neuen Talestri-Sängerin (Cecilia Gaetani) ihr Stück auf die Bühne bringen. Und so sehen wir die Schauspielerin Carolin Fink als Maria Antonia Walpurgis bei der Probe ihrer eigenen Oper.

Carolin Fink macht das ergreifend, nicht nur, weil ihre große Stimme das leicht metallisch-heisere Belegtsein drauf hat, sondern weil man den Kampf einer Künstlerin erlebt. Maria Antonia will, dass ihr Herzensstück, das auch eine Emanzipationsarbeit vom männlichen Hof ist, wirklich packend bleibt - tragikomischen Streit mit den teilweise eitlen, unernsten Darstellern inbegriffen.

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Das hat den Vorteil, dass maria Antonia - also Carolin Fink - ihren Sängern und damit auch uns Zuschauern auf Deutsch ihr italienisches Herzensprojekt "Talestri" erklärt, was zum Verständnis ungemein beiträgt. Dadurch fallen auch alle lästigen Erklärungs-Rezitativen weg. So wird die Inszenierung zu einem nur gut anderthalbstündigen, zwei- statt dreiaktigen Best-of dieses eigentlich ernsten Dramas über Pflicht oder Neigung mit Happy End. Die offizielle Premiere in Dresden hatte noch von 16 bis 21 Uhr gedauert - allerdings sicher mit eingestreuten Schäfer- und Dinner-Stündchen.

 

In München sieht man dazu frechen schulterfreien Barock mit Rascheltaft, Schür-Taillen und Puderperücken auf reduzierter Bühne. Üppig ist - neben den Kostümen - nur die teppichumlagerte Chaiselongue, auf der die Herzogin nebenbei Staatsgeschäften nachgehen muss.

Selbst das Lüftungsbrummen irritierte nicht

Als Oper, die ursprünglich von adeligen Laien am Hof gespielt und gesungen wurde, ist "Talestri" im Tonumfang eng gehalten und ohne allzu große Koloraturakrobatik. Hier riskieren die professionellen Sängerinnen mehr und erhöhen damit den musikalische Reiz, was den Lehrern von Maria Antonia Walpurgis - Nicola Antonio Porpora und Johann Adolph Hasse - sicher gut gefallen hätte.

Alexander Krampe hat die Originalpartitur für die zehn Musiker der Kammeroper neu arrangiert. Und hier fällt auf, dass er dem Vorwurf, Barockmusik liefe oft monoton wie eine Spieluhr ab, etwas entgegen setzt - wie synkopische Rhythmusverschiebungen, die dem ganzen etwas Natürlicheres, Reizvolleres geben.

Die Dirigentin Johanna Soller geht damit locker um, bleibt aber ernsthafterweise bei einer historischen Spielweise. Als weitere Elemente der Abwechslung gibt es a-cappella Passagen. In der Instrumentierung wird auch mal ein Cellosolo riskiert und als Zusatzklangpunkt ein Bassetthorn oder eine Bassklarinette oder eine mitkoloraturende Piccoloflöte eingesetzt.

Die Sängerinnen gingen mit der trockenen Akustik des Saals, die noch durch die coronabedingte Ausdünnung des Publikums verstärkt wurde, durch leichte Zurücknahme einfühlsam um. Selbst vom Lüftungsbrummen ließen sie sich nicht irritieren und riskierten durchweg geschmackvoll unzirzensische Verzierungen.

So gelang eine intensive, musikalisch farbenreiche Version einer Frauenoper, die auch durch den schauspielerischen Einsatz von Carolin Fink zu einer echten "Opera drammatica" wurde, wie "Talestri" im Originallibretto genannt wird.


"Talestri": Hubertussaal im Nordflügel des Schlosses Nymphenburg, noch dieses Wochenende bis zum 19. September (außer Mo und Di), jeweils 19.30 Uhr. Karten 35 - 65 Euro unter www.kammeroper-muenchen.com, % 54 81 81 81 oder an der Abendkasse

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