Kritik

"Barbiere di Siviglia": Salzburger Spassettel-Salven

Pfingstfestspiele in Salzburg: Rolando Villazón lässt in Rossinis "Barbiere di Siviglia" Cecilia Bartoli als Filmdiva von der Leinwand herabsteigen.
von  Walter Weidringer
In Rossinis "Il barbiere di Siviglia" gibt Cecilia Bartoli eine späte, wunderbar gurrende Rosina, der Varietékünstler Arturo Brachetti muss sich da in seiner stummen Rolle als Requisiteur und Archivar schon mal in Acht nehmen.
In Rossinis "Il barbiere di Siviglia" gibt Cecilia Bartoli eine späte, wunderbar gurrende Rosina, der Varietékünstler Arturo Brachetti muss sich da in seiner stummen Rolle als Requisiteur und Archivar schon mal in Acht nehmen. © Monika Rittershaus/Salzburger Festspiele

Wenn Zorro, also der verkleidete Graf Almaviva, der angebeteten Rosina sein schmachtendes a-Moll-Ständchen singt und sie vom Fenster aus antwortet, dann lässt sie dazu Kastagnetten klappern. Mehr ist nicht nötig: Im Nu verwandelt sich die zweite Strophe zu einer feurigen Flamenco-Darbietung, entsprechend angeheizt aus dem Orchestergraben.

Es soll ja schon Produktionen von Gioachino Rossinis "Barbiere di Siviglia" gegeben haben, in denen der Schauplatz und entsprechendes Lokalkolorit keinerlei Rolle spielten. Das ist zwar genau genommen auch bei jener Deutung so, die sich Rolando Villazón hat einfallen lassen: Hier träumt sich der einsame Requisiteur und Archivar eines großen Filmstudios (eine stumme Rolle für den Varietékünstler Arturo Brachetti) in eine Welt, in der Leinwandfiguren real werden - so ähnlich wie in Woody Allens "Purple Rose of Cairo".

 

Das Spanische mit Sevilla als Knotenpunkt

Kann es Zufall sein, dass die Hauptfigur dort Cecilia heißt? Aber weil die von Cecilia Bartoli verantwortete Pfingstausgabe der Salzburger Festspiele diesmal Sevilla als Motto erkoren hat, fallen die spanischen Rhythmen in den tausenden und abertausenden Gags des Regisseurs speziell auf. Kein Wunder, dass dem nach kleiner Anfangsnervosität glänzend geläufigen, spielfreudigen Tenor Edgardo Rocha auch einmal ein Halbsatz auf Spanisch entfährt.

 

Das Spanische mit Sevilla als Knotenpunkt und Umschlagplatz von Übersee und innereuropäischer Exotik: Javier Perianes feierte es etwa in einer Klaviermatinee - mit pianistisch anspruchsvoller, gestaltenreicher Musik von Albéniz, Granados und de Falla: Er tat es niemals bloß effektvoll donnernd, sondern vorzugsweise auf subtile, reich schattierte Weise.

Bei Christina Pluhar und ihrem crossover-freudigen Ensemble L'Arpeggiata mit Gesang und Tanz ließen sich Nummern aus Mittel- und Südamerika, Spanien und Italien vom 16. bis ins 20. Jahrhundert bald nur mehr schwer unterscheiden - aber dem jubelnden Publikum sind philologische Fragezeichen ohnehin herzlich egal.

Ein Satyrspiel mit allen Oktaven der Unterhaltungsklaviatur

Bei Villazóns "Barbiere", der den ansonsten eher düsteren Salzburger Sommerspielplan gleichsam als Satyrspiel ergänzen wird, darf man jedenfalls viel Vergnügen wünschen: ein multimediales Spektakel, das von Grusel und Situationskomik der Stummfilmära über Screwball-Überdrehtheit bis zu clowneskem Slapstick die Unterhaltungsklaviatur durch allen Oktaven donnern lässt. Freilich, wer fast durchgehend mit Gags diversen Niveaus beschossen wird, und die meisten kommen sogar zweimal, dem entfährt irgendwann unweigerlich ein gequältes Autsch.

Brachetti gibt also den verliebten Fan der Zelluloiddiva "Ceci B. Artoli", deren Filme er in jeder freien Minute verschlingt. Unversehens gerät er in eine Zwischenwelt, realisiert durch ein vituoses Zusammenspiel von Live-Aktion mit Film- und Schattenprojektionen (rocafilm; Licht: Stefan Bolliger) - und kann sich lange Zeit nicht recht mit dem Gedanken anfreunden, dass Zorro das Rennen um die angebetete Rosina gewinnen wird und noch doch vielleicht er selbst …

Bartoli ist zu ihrer Debütrolle von 1986 zurückgekehrt und, trotz anfänglicher, vorübergehender Härten in der Stimme jene gurrende, koloraturfunkelnd kokettierende Vortragskünstlerin geblieben, als die sie geliebt wird. Da mag er noch so plappern und zetern, ihr Lustgreis-Vormund Bartolo, dem Alessandro Corbelli eine gewisse Noblesse verleiht, die sich in geradezu bemitleidenswerte Tristesse verwandelt: Sie lässt sich nicht lange im Vogelkäfig auf der Schaukel einsperren.

Simone Alaimo als vokaler Kraftlackl

Die Intrigen des mächtig aufdrehenden Ildebrando D'Arcangelo, dessen Basilio als Nosferatu über die Bühne geistert, helfen da auch nicht - Figaro sei Dank: Simone Alaimo ist weniger ein Bariton der eleganten Tongebung und Phrasierung, denn das würde zum einfachen, aber gewitzten Barbier auch gar nicht passen. Stattdessen gibt er einen grundsympathischen vokalen Kraftlackl mit viel Selbstironie, was die Körperfülle anlangt.

Eine Hauptrolle spielen aber auch Les Musiciens du Prince-Monaco unter Gianluca Capuano: Mit ihnen und einer zu Späßen aufgelegten, aber immerhin nicht überdrehten Continuo-Gruppe realisiert er in flexiblen Tempi eine enorm breite Palette an Farben, dynamischen und spieltechnischen Schattierungen, die Rossinis Orchester (aufgebessert mit Kastagnetten und Co.) so knusprig und resch wie selten tönen lassen: Jubelstürme für alle.


"Il barbiere di Siviglia" ist bei den Sommerfestspielen am 4., 8., 11., 14. und 16. August im Haus für Mozart zu sehen. Infos und Karten unter salzburgfestival.at

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