"Barbier von Sevilla" am Gärtnerplatz: Lust an der Pointe

Es ist unglaublich viel los in dieser Inszenierung. Figaro fährt Vespa und betätigt sich neben dem Kerngeschäft als Barbier und Intrigant auch als Kopf einer Kinderbande. Basilio radelt, zwei Priester umkreisen wie lüsterne Geier ein Bordell. Und die Bühne ist - abgesehen von Rosinas Rosen-Schlafzimmer - ein einziger Kaktus.
Josef E. Köpplinger forscht - um es freundlich auszudrücken - auf der Bühne des Gärtnerplatztheaters nach der Verwurzelung des "Barbiers von Sevilla" in der italienischen Commedia dell'arte und ihren Fernwirkungen bis zum Klamauk.
Um Masken und Perücken loszuwerden, hat er die Geschichte in eine spanische oder lateinamerikanische Militärdiktatur vor ungefähr 60 Jahren verlegt. Aber das ist nur ein Tapetenwechsel, hinter dem Schwank und Klamotte durchleuchten.
"Barbier von Sevilla" in München: Niemand darf in Ruhe eine Arie singen
Wenn man nicht wüsste, dass der Intendant des Gärtnerplatztheaters ein hochmusikalischer Mensch ist, könnte man auf die Idee kommen, dass er den dramatischen und komödiantischen Qualitäten von Gioachino Rossinis Musik ein wenig misstraut. Niemand darf in Ruhe eine Arie singen. Damit keine Langeweile aufkommt, wird wenigstens ein Skelett abgestaubt oder mit Türen geklappt. Im Maximalfall besichtigt ein Metzger mit seiner Familie einen Fernseher, worauf die Metzgerin in Ohnmacht fällt, ohne dass es den anwesenden Arzt auch nur im Geringsten interessieren würde.
Jennifer O'Loughlin: Ideal für die Rolle der Rosina
Allerdings stört dieser hibbelige Aktionismus auch nicht weiter. Denn die Sänger lassen sich von Köpplingers bis zum Exzess getriebenen Theaterspaß nicht unterkriegen. Und Rossinis Musik ist ohnehin unverwüstlich. Auch wer bei der Rolle der Rosina einen Mezzo vorzieht, muss neidlos zugestehen, dass Jennifer O'Loughlin für die Rolle ideal ist.

Sie ist keine Zwitscherpuppe der deutschen Besetzungstradition, sondern ein selbstbewusster dramatischer Koloratursopran. Und dass die Sängerin als Darstellerin keine Komödiantin ist, gibt der Figur im Umfeld von Köpplingers Inszenierung doppeltes Gewicht: Ihr nimmt man ab, dass aus Rosina in der Fortsetzung der Geschichte die Gräfin in Mozarts "Le nozze di Figaro" wird.
Anna Agathonos macht aus der Berta eine Hauptrolle
Mit Gyula Rabs Almaviva bangt man bei der ersten Arie noch ein wenig. Aber er setzt seinen eher kleinen, gut geführten und höhensicheren Tenor sehr geschickt ein. Matija Meić ist ein opulenter Figaro, die beiden Bassisten Levente Páll (Bartolo) und Timos Sirlantzis (Basilio) unterscheiden sich in ihrem individuellen Stimmcharakter, nicht aber in der Qualität. Anna Agathonos ist eine große Komödiantin, die aus der Berta eine Hauptrolle macht. Und Ambrogio (Dieter Fernegel) ist ständig damit beschäftigt, Kakteen zu pflegen oder sich politisch am Militär zu begeistern.
Obwohl italienisch gesungen wird, ist die Textverständlichkeit größer als in mancher deutschsprachigen Aufführung. Michael Brandstätter leitet die Aufführung mit präzisem Schwung und einem guten Gefühl für das Tempo. Dass das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz in reduzierter Besetzung spielt, hört man allenfalls in der Ouvertüre.
Wieso wirkt Doktor Bartolo fast jünger als sein Mündel?
Wenn Almaviva nach der Pause in der Verkleidung als Don Alonso den Doktor schwul anmacht, streift die Aufführung die Sphäre des Schwanks und der Klamotte. Ohnehin verwundert es, dass Köpplinger, der Operetten gerne mit tragischen Elementen psychologischen Tiefgang verleiht, bei dieser Oper so sehr an der gagverliebten Oberfläche bleibt.
Auch wenn das alles sehr lustig ist, fragt man sich aber irgendwann, wieso Doktor Bartolo fast jünger als sein Mündel wirkt, warum er einen Frisierstuhl im Wohnzimmer stehen hat und weshalb er sich ausgerechnet in einem Hurenhaus mit Leuchtreklame eingemietet hat. Denn die Damen interessieren ihn nicht. Das sind nicht die einzigen Widersprüche, die von der Inszenierung weder geklärt noch produktiv gemacht werden. Weil Köpplingers Komik aber realistisch geerdet ist, kann man nicht behaupten, dass das wie im Slapstick alles egal wäre.
Will Köpplinger eine böse Geschichte über menschliche Käuflichkeit erzählen?
Die teilweise an Taubenvergrämungseinrichtungen gemahnenden Kakteen der Bühne von Johannes Leiacker könnten darauf hindeuten, dass der inszenierende Intendant darauf hinaus möchte, dass diese Oper eine böse Geschichte über menschliche Käuflichkeit erzählt. Sollte das der Fall sein, hat Köpplinger das in seiner Pointenlust nicht hinreichend deutlich gemacht.
Mancher Zuschauer langweilte sich genervt im Stillen, andere kamen aus dem Kichern nicht heraus. Was die Komik angeht, sind die Geschmäcker wohl noch verschiedener als sonst. Aber es wäre doch schade, wenn wir Menschen uns über alles einig wären.
Wieder am 10., 18., 22., 24. und 25. Juli, derzeit mit erweitertem Kartenkontingent. Infos und Karten unter www.gaertnerplatztheater.de.