Barbara Mundel im AZ-Interview: Der Speck ist schon weg

München - Es war gar nicht so einfach, einen Interviewtermin mit ihr zu bekommen. Die neue Intendantin der Kammerspiele war bis in die Abende und Nächte beschäftigt. Dabei waren die Theater wie alle anderen Kultureinrichtungen schon zum "Lockdown light" geschlossen worden. Aber wenngleich niemand mehr daran glaubt, dass ab 10. Januar wieder vor Zuschauern gespielt wird, müssen die Planungen weiter gehen.
AZ: Frau Mundel, was haben Sie und Ihr Team in den vergangenen Wochen gemacht?
BARBARA MUNDEL: Ich würde mal sagen: einiges! Wir haben zum einen an den Projekten, die wir uns vorgenommen haben, weitergearbeitet. Das Ensemble hat unter Beachtung der Hygienebestimmungen weiter geprobt. Zum anderen haben wir uns auch mit psychologischen Fragen beschäftigt, wie: Was bedeutet die Verschärfung der Situation, der Lockdown für uns? Wie gehen wir mit der Angst um, die jede und jeder auch ganz privat hat? Dafür ist viel Kommunikation nach innen notwendig. Gleichzeitig versuchen wir, weiter in die Zukunft zu blicken: Welche Projekte werden sich wohl verwirklichen lassen?
Für die Klärung all dieser Fragen sitzen Sie die ganze Zeit in Videokonferenzen.
Ja, ich sitze unfassbar viel in Videokonferenzen. Die verschiedenen Teams proben teilweise ebenfalls online. Aber selbst wenn die Landeshauptstadt empfiehlt, dass man möglichst im Homeoffice bleiben sollte, gibt es eine Grenze des Machbaren, was die Zusammenarbeit über Bildschirme angeht. Die Werkstätten können nicht per Zoom ihren Aufgaben nachgehen, und ich halte es auch für wichtig, dass wir direkt Gespräche führen können, natürlich mit Maske und in großen Räumen. Gerade bei Konflikten ist es schwer, diese per Videokonferenz zu lösen.
Barbara Mundel über neue digitale und hybride Theater-Formate
Das Digitale wird Sie auch hinsichtlich der Übertragung von Aufführungen weiterhin beschäftigen.
Klar, das Digitale beschäftigt uns sehr. Wobei wir nicht einfach Inszenierungen eins zu eins von der Bühne nach Hause streamen wollen, sondern vor allem damit beschäftigt sind, neue digitale und hybride Theater-Formate zu entwickeln. Dafür haben wir uns zwischendurch auch Experten ans Haus geholt, die uns in Workshops verschiedene Kompetenzen im digitalen Bereich vermittelt haben.
Gibt es da schon Resultate?
Ja. Wir haben zum Beispiel eine Online-Version zu "The Assembly" entwickelt, bei der das Publikum live partizipieren und mitdiskutieren kann. Und wir haben aus Christine Umpfenbachs Projekt zum Oktoberfest-Attentat einen Film gemacht, den man sich an bestimmten Tagen anschauen kann. Dazu gibt es die Möglichkeit, sich während der Aufführung mit dem Produktionsdramaturgen im digitalen Raum auszutauschen und danach mit weiteren Beteiligten über das gerade Gesehene zu sprechen.
Anfang Dezember verschickte Ihre Pressestelle einen potenziellen Spielplan für Januar, in dem sieben Premieren, darunter große Ensemble-Inszenierungen wie Jan Bosses Adaption von Gabriele Tergits Roman "Effingers", vermerkt waren. Haben Sie wirklich geglaubt, dass das machbar ist?
Zu diesem Zeitpunkt lag das noch im Bereich des Möglichen, aber jetzt ist das natürlich anders. Wir wollten damit auch zeigen, dass wir jetzt nicht komplett ins Schweigen verfallen, sondern vieles am Haus vorbereiten. Wir gehen nicht mehr davon aus, dass wir im Januar ins analoge Spielen kommen, und bereiten uns darauf vor, dass das vielleicht auch im Februar und März nicht möglich sein wird.
"Es kann schon ein Stau entstehen, aber er wird nicht allzu furchtbar sein"
Sie gehen davon aus, dass der Spielbetrieb erst im April aufgenommen werden kann?
Ja. Wobei wir natürlich hoffen, dass es zu einem früheren Zeitpunkt möglich sein wird.
Gleichzeitig wird jedoch weiter eifrig geprobt. Bahnt sich da nicht ein Mords-Premieren-Stau an?
Im Moment sind drei Produktionen fertig geprobt: Felicitas Bruckers Inszenierung von Wolfram Lotz' "Die Politiker", Verena Regensburgers "Regenbogenfisch" und Bernhard Mikeskas Projekt "Gespenster", das sich mit der Familie Mann, besonders Erika Mann, befasst. Für "Gespenster" arbeiten wir an einer aufwändigen Live-Streaming-Version, für "Die Politiker" ist das nicht vorgesehen. Natürlich wollen wir unsere Premieren zeigen. Die Premiere von "Effingers" wird wahrscheinlich in den Frühsommer wandern, die Premiere von "Heldenplatz" kann vielleicht Ende März stattfinden. Nora Abdel-Maksoud würde ihr neues Stück "Jeeps" gerne zunächst als Lesungs-Format streamen, bevor es vielleicht im April auf der Bühne uraufgeführt wird. Dazu kommen weitere Projekte, bei denen wir uns zum Teil digitale Alternativen überlegen und nicht klar ist, wann sie auf die Bühne kommen. Es kann schon ein Stau entstehen, aber er wird nicht allzu furchtbar sein.
Barbara Mundel: "Jede weitere Kürzung wird voll durchschlagen"
Aber das Residenztheater und das Volkstheater, die "kleinen" Theater, die ganze freie Szene - alle proben weiter an ihren Stücken. Sind die Theater wenigstens im Gespräch, um sich untereinander abzustimmen?
Wir bemühen uns, mit den anderen Theatern ins Gespräch zu kommen, und arbeiten mit Hochdruck an unseren Plänen, um diese möglichst bald abstimmen und veröffentlichen zu können. Es wird sich sicherlich nicht komplett vermeiden lassen, dass es zu einem Stau kommt.
Wenn es im April weitergeht, dann vermutlich wieder vor 50 genehmigten Zuschauern?
Das hoffe ich natürlich nicht.
Klar ist, dass Sie mit Einnahmeverlusten aufgrund weniger Zuschauer und einer städtischen Zuschusskürzung in Höhe von zwei Millionen Euro fertig werden müssen. Ein "Notgroschen" von 2,8 Millionen Euro aus dem Eigenbetrieb der Kammerspiele, der noch aus den Zeiten von Frank Baumbauer herrührt, muss aufgebraucht werden. Macht sich das bereits bemerkbar?
Natürlich, indem dieser "Notgroschen" jetzt aufgebraucht wird. Wir haben gehofft, dass wir das "Angesparte" über mehrere Jahre hinweg der Kunst zurückführen können. Es gab ganz unabhängig von der Pandemie den Plan, die Kammerspiele für das digitale Zeitalter weiterzuentwickeln. Da hätte das Geld hinfließen sollen. Aber der angelegte Speck, wenn man es so nennen darf, ist jetzt auf einen Schlag weg. Jede weitere Kürzung wird voll durchschlagen.
Und es wird ja befürchtet, dass der eigentliche Finanz-Crash erst in den nächsten Jahren kommt.
Davon gehe ich jetzt mal nicht aus. Denn ich hoffe doch, dass die gesellschaftlichen Debatten der nächsten Jahre die Bedeutung von Kunst und Kultur als Grundlage des Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung fest in den Blick nehmen werden.