Aziz Shokhakimov über "Pique Dame"
Die Oper erzählt von einem Spieler, der einer alten Gräfin das Geheimnis dreier untrüglich gewinnender Karten entlocken will. Benedict Andrews führt Regie in der Neuproduktion von Peter Tschaikowskys Oper, der usbekische Dirigent Aziz Shokhakimov gibt in "Pique Dame" sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper.
AZ: Herr Shokhakimov, wie haben Sie sich auf diese Produktion vorbereitet?
Aziz Shokhakimov: Ich habe die Oper zuvor in Düsseldorf dirigiert, aber nie gründlich analysiert. Es war für mich wichtig, die richtigen Tempi und Emotionen zu finden. Weil Glückspiel in dieser Oper eine große Rolle spielt, habe ich ein Casino besucht. Dabei ist mir klar geworden, wie sehr sich am Rouletttisch für den Spieler die Zeit beschleunigt, während sie um ihn herum ganz normal vergeht.
Haben Sie gewonnen?
Nein. Aber die Verluste waren für mich eine sehr gute Investition, um das unterschiedliche Timing der Figuren dieser Oper zu verstehen.
Sie haben schon im Alter von 13 Jahren als Dirigent debütiert. Wann wussten Sie, dass das für Sie das Richtige ist?

Ich habe als Elfjähriger den ersten Unterricht im Dirigieren erhalten - gleichzeitig zu Geigenstunden. Ich habe auch gesungen. Einer meiner Lehrer fand, dass ich das Talent zu dirigieren habe und gab mir Klavierauszüge, die ich orchestrieren sollte. Später durfte ich das Schulorchester dirigieren und fehlende Instrumente am Klavier ersetzen. Das waren wichtige Erfahrungen für mich. Später war ich am Konservatorium in Taschkent, und als 13-Jähriger durfte ich dann Beethovens Fünfte beim Nationalen Symphonieorchester Usbekistans dirigieren.
Dann kam sehr schnell die erste Oper.
Die Leiterin des Opernhauses fragte mich, ob ich Oper möge. Daraufhin hat sie mir "Carmen" angeboten.
Das war auch Tschaikowskys Lieblingsoper, was dem Kinderchor am Anfang von "Pique Dame" durchaus anzuhören ist.
Die Aufführung in Taschkent war auf russisch, was für mich leichter war. Auf französisch hätte ich es wohl kaum geschafft. Ich glaube, dass meine "Carmen" für einen 14-Jährigen nicht schlecht war, aber mittlerweile verstehe ich die Oper und ihre Dramaturgie doch besser.
Sie können mit 35 Jahren noch immer als ein junger Dirigent gelten. Aus Orchesterkreisen höre ich öfter, Brahms beispielsweise sei nichts für jüngere Dirigenten, weil man dafür vor allem Erfahrung bräuchte. Was denken Sie darüber?
Es gibt sicher im Moment eine Mode, Brahms oder Bruckner nur älteren Dirigenten anzuvertrauen. Für mich spielt das Alter keine Rolle: Ich will berührt werden. Allerdings erwartet das Publikum oft von einem Dirigenten eine bestimmte Aura, und dazu gehört das Alter. Und ältere Dirigenten haben für Orchester den Vorteil, dass sie oft nicht viel proben, weil sie sich auf die hohe Spielkultur heutiger Orchester verlassen können. Aber natürlich ist es auch richtig, dass jüngere Dirigenten oft etwas ausprobieren wollen, was nicht funktioniert und dann die Orchester bei Proben langweilt.
Was nehmen Sie als Stärke des Bayerischen Staatsorchesters wahr?
Die Musikerinnen und Musiker sind hochprofessionell. Und sie reagieren sehr flexibel und diszipliniert. Außerdem spielen sie in den Pausen und nach den Proben sehr gut Tischtennis, was ich auch sehr gerne tue.
Ist es für Sie ein Problem, dass man als Dirigent aus dem Raum der ehemaligen Sowjetunion unweigerlich auf russische Musik festgelegt wird?
Ich mag keine Etiketten. Aber es ist leider so, dass man, wenn man bei einem Orchester gut Prokofjew dirigiert hat, auch beim nächsten Orchester für diesen Komponisten eingeladen wird. Auf diese Weise wird man sehr schnell festgelegt. Aber so ist der Markt.

Welche Musik liegt Ihrem Herzen am nächsten?
Tschaikowksky, aber auch Brahms und Beethoven. Und Prokofjew natürlich auch.
Auf drei Neuinszenierungen von "Eugen Onegin" kommt höchstens eine Neuproduktion von "Pique Dame". Wissen Sie einen Grund für die - vergleichsweise - Unbeliebtheit dieser Oper?
Schwer zu sagen. "Eugen Onegin" ist insofern zugänglicher, weil hier auf eine sehr poetische Weise die Geschichte einer romantischen Liebe erzählt wird. "Pique Dame" ist dramatischer und handelt von einer Obsession. Für mich ist es die bedeutendste russische Oper überhaupt.
Warum?
Wegen der sehr reichen Musik und wegen der Dramaturgie. Außerdem ist die Verbindung zwischen Tschaikowsky und Puschkin sehr reizvoll. Außerdem spiegelt die Oper ein bestimmtes, bis heute aktuelles russisches Lebensgefühl: das Interesse am Schicksalsglauben und einen Hang zum Aberglauben und Okkultismus. Dafür braucht man in Russland nur den Fernseher anzumachen. In "Pique Dame" spielt das über die Figur der Gräfin, die vom Grafen von Saint-Germain das Geheimnis dreier Karten erfahren haben soll, eine große Rolle. Und nach ihrem Tod erscheint sie Hermann auch als Geist.

Bei uns wird immer vergessen, dass Puschkin für die russische Literatur so wichtig ist wie Goethe für die deutsche.
Jeder russische Zuschauer kennt den Stoff - und auch die meisten anderen bekannten russischen Opern basieren auf Vorlagen dieses Dichters - etwa "Boris Godunow", "Eugen Onegin" oder "Ruslan und Ludmilla". Und es ist ein russisches Klischee, dass Lisa die Gefühle Jeletzkis zurückweist und sich für den geheimnisvollen Hermann entscheidet. Russische Frauen scheinen von Bad Boys fasziniert zu sein.
Die Musik von "Pique Dame" erinnert stark an Tschaikowskys Symphonik.
Ich würde da vor allem die Fünfte nennen. Die Musik der Oper schlägt - wie eine Symphonie - einen großen Bogen vom Anfang bis zum Finale. Es war wichtig für uns, diese geradlinige Entwicklung zu empfinden.
Das Intermezzo mit seiner Mozart-Kopie in der Ball-Szene fällt da ein wenig heraus.
Benedict Andrews fand, dass es die klare Linie der Geschichte stören würde. Daher haben wir das Intermezzo gestrichen. Das ist ein Kompromiss, den ich eingehen musste - allerdings nicht leichtfertig, sondern nach einer langen Diskussion. Diesen Strich macht man, wenn ich recht informiert bin, allerdings auch in den Neuproduktionen in Dresden oder Berlin.
Wie muss man sich die Inszenierung vorstellen?
Benedict Andrews hat ein gutes Gespür für die Emotionalität der Musik. Wir haben vieles ähnlich empfunden. Für mich war allerdings manches an seiner Inszenierung ungewohnt, weil ich mit der Aufführungstradition des Bolschoi-Theaters aufgewachsen bin.

Haben Sie Vorbilder, wenn Sie Tschaikowsky dirigieren?
Es ist ein Reiz an der Beschäftigung mit Musik, dass sehr viele unterschiedliche Sichtweisen möglich sind. Aber natürlich gibt es ältere Aufnahmen, die ich schätze: bei den Symphonien etwa die Interpretation von Jewgeni Mrawinski. Tschaikowsky wird oft allzu süßlich interpretiert. Das versuche ich - wie Mrawinski - zu vermeiden. Die Musik ist sehr emotional, aber das sollte man nicht zu sehr veräußerlichen und zur Exaltiertheit steigern.
Was ist Ihre nächste Oper?
"Lohengrin" in Straßburg, mein zweiter Wagner nach dem "Fliegenden Holländer" in Düsseldorf. Ich leite das Orchestre philharmonique de Strasbourg, das auch in der Oper spielt. Ich habe dort kürzlich "Die Vögel" von Walter Braunfels dirigiert, die, wie Sie sicher wissen, 1920 im Nationaltheater uraufgeführt wurden: eine ganz hervorragende Oper.
Premiere am Sonntag, 18 Uhr im Nationaltheater. Weitere Vorstellungen am 7., 10., 14., 17. und 20. Februar. Die Vorstellung vom 10. Februar wird ab 19 Uhr auf staatsoper.tv als Livestream übertragen.
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