Ausstellung "Hinter den Worten": Die Diva der Ernsthaftigkeit

Das Theatermuseum erinnert mit der Ausstellung "Hinter den Worten" an die Schauspielerin Gisela Stein.
Mathias Hejny |
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Gisela Stein in Becketts "Glückliche Tage" (Kammerspiele, 1990).
Oda Sternberg Gisela Stein in Becketts "Glückliche Tage" (Kammerspiele, 1990).

München - Es tut mir leid, wenn ich etwas heftig werde, aber es geht mir nah" entschuldigt sich Stefan Hunstein während des Presserundgangs. Der Schauspieler fordert nichts Geringeres als eine Revolution für ein Theater der Zukunft. Ehrlich erschüttert lässt der 59-Jährige, der einst sowohl zu den Ensembles von Residenztheater und Kammerspielen gehörte, den Blick über die Bilder und Kostüme schweifen und fragt: "Wann haben wir das verloren?" Das "das" ist die Schauspielkunst und das Ensembletheater, für das Gisela Stein stand.

"Die Stein" ist die "vielleicht letzte Diva von großer Ernsthaftigkeit", stellt Birgit Pargner fest. Sie ist Kuratorin der großen Sonderausstellung über den 2009 im Alter von 74 Jahren in Norddeutschland gestorbenen Bühnenstar, die seit heute im Deutschen Theatermuseum zu sehen ist. Der Titel lokalisiert den Raum, in dem sich Gisela Stein am liebsten aufhielt: "Hinter den Worten".

Für das begleitende und reich illustrierte Buch hat sie 16 Weggefährten um Texte gebeten. Darunter sind die enge Freundin Cornelia Froboess ("Wir haben uns gegenseitig immer aufgefangen. Es konnte uns nichts passieren") ebenso wie ihr jahrzehntelanger Regisseur und Intendant Dieter Dorn ("Wegen der absoluten Schonungslosigkeit kaum zur Nachahmung zu empfehlen").

Auch Hunstein gehört zu den Katalogautoren. Den Umsturz, zu dem er im Geiste Gisela Steins aufruft, will er nicht als nostalgische Gegenreformation verstanden wissen, sondern meint die Rückkehr zu präziser und umfassender Durchdringung des Texts. Wie dieser im Einzelnen zu gestalten sei, gab es schon Mitte der 1960er-Jahre unterschiedliche Auffassungen, als Gisela Stein in Berlin auf Fritz Kortner traf. "Treten Sie nicht auf", wies er sie an, "kommen Sie einfach rein". In dieser Zeit trat sie auch im Münchner Residenztheater wieder bei Hans Lietzau auf, wo sie den wohl nicht ausschließlich bewundernd gemeinten Ruf "die Tragische vom Schiller-Theater" genoss.

Natürlich ist das zusammengetragene Material auch eine begehbare Theatergeschichte Westdeutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg in Bild und Ton. Gisela Steins Schauspielkarriere begann nach einer Kindheit auf der westpommerschen Insel Wolln und im oberhessischen Schlitz sowie der Ausbildung in Wiesbaden in der Provinz.

Ihr Debüt gab sie in Koblenz 1953 als Selma in Gerhart Hauptmanns "Die Ratten". Anschließend wechselte das junge Talent nach Krefeld, wo sie 1958 in ihrem ersten "Faust" auftrat – natürlich als Gretchen. Es folgte eine Spielzeit in Essen, bis sie Boleslaw Barlog nach Berlin holte.

Seither pflastert die Regie-Elite den Steinschen Weg: Gustaf Rudolf Sellner, Wilfried Minks, Günter Krämer, George Tabori, Alexander Lang, Peter Zadek oder Robert Wilson. Liest man das nach Spielzeiten geordnete Rollenverzeichnis, fällt auf, dass der schwere Verkehrsunfall 1983 bei Bad Ischl auf ihre beruflichen Aktivitäten kaum Einfluss zu haben schien. Doch die Verletzungen begleiteten die Schauspielerin für den Rest ihres Lebens und forderten ihre ohnehin bereits legendäre Kraft und Disziplin auf das Äußerste.

Privates ließ Gisela Stein am liebsten zu Hause, aber die Ausstellungsmacher konnten durch die Zusammenarbeit mit der Tochter Katharina Hinze-Kertész ein Hauch von Familienleben einbringen. Urlaubsfotos von Tagen an Dänemarks Stränden, die Bemerkung der Schülerin, die sich eine "normale Mutter" wie ihre Schulfreundinnen gewünscht hatte oder ein geflügeltes Wort Steins, dessen Entspanntheit der unerbittlich ernsten Kunstauffassung zu widersprechen scheint: "Es ist so wie es ist." Für die ganze Familie sei das, berichtet die Tochter, ein gültiger "Oma-Gisela-Satz".


Deutsches Theatermuseum, bis 15. Oktober außer montags, 10 bis 16 Uhr

Birgit Pargner (Hg.): "Hinter den Worten", Henschel-Verlag, 240 Seiten, 29,95 Euro

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