Aus der Vögelperspektive: "Gefährliche Liebschaften" als Musical

Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger inszeniert "Gefährliche Liebschaften" als Musical: ein Triumph
von  Michael Stadler

Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger inszeniert "Gefährliche Liebschaften" als Musical: ein Triumph

Dass beim Sex der Rhythmus eine Rolle spielt, muss man wohl kaum jemanden erzählen. Auch jede Inszenierung sucht nach dem richtigen Takt, und wenn er nicht gefunden wird, kann es fad werden. Zuletzt hat man das im Januar bei „Gefährliche Liebschaften“ erlebt: Die Dänin Katrine Wiedemann konzentrierte sich in ihrer Resi-Inszenierung von Christopher Hamptons Stück im Cuvilliéstheater mehr auf die Positionierung ihrer Figuren im Bettengebirge, anstatt erotische Funken zu schlagen.

Gärtnerplatz-Intendant Josef E. Köpplinger hat ein Musical in Auftrag gegeben, was an sich schon mal Respekt abverlangt, weil es von Risikofreude und Lust am Neuen zeugt. Es war dabei eben jener Briefroman von Choderlos de Laclos, die Ur-Version der „Gefährlichen Liebschaften“, die Komponist Marc Schubring und Librettist Wolfgang Adenberg frisch adaptieren sollten. Nun wurde das Werk uraufgeführt. Schauplatz: Cuvilliéstheater. Und wie sieht’s jetzt bei Köpplinger mit der Erotik aus?

Ziemlich freizügig

Man treibt es heftig. Valmont und seine Geliebte Joséfine beim Ritt in den Laken. Umgeben werden sie von kopulierenden Paaren, über ihnen schräg ein großer Spiegel für noch eine Vögelperspektive. Das Orchester des Gärtnerplatztheaters, dirigiert von Andreas Kowalewitz, gibt Vollgas. Zu jedem Beckenstoß ein Paukenschlag. Auch die Geschlechtsverkehrenden erleben ihr Crescendo: Orgasmus!

Köpplinger inszeniert den Sex so freizügig, wie man es im Musical wohl selten erlebt: Marquise de Merteuil genießt einen Cunnilingus, Valmont vergeht sich lustvoll an Frauenkörpern, manche Brust zeigt sich. Filigran ist das nicht, eher derbe, aber beide sind auch nicht auf zärtliche Liebkosungen aus, sondern wollen den Trieb in sich und ihren Opfern entfesseln. Und schließen eine Wette ab: Valmont winkt eine Nacht mit Merteuil, wenn er die tugendhafte Madame de Tourvel ins Bett kriegt.

Der Erfolg beim anderen Geschlecht erweist sich in dieser Rokoko-Schauermär als exakt planbar, aber hinter dem Getriebe der Verführung lauert die Automatik einer Tragödie. Dazu passend versteht es Köpplinger, seine Musical-Maschine wie am Schnürchen laufen zu lassen. Er erweist sich als Meister flüssiger Szenenwechsel, die dank Rainer Sinells Bühnenbild jederzeit möglich sind. Die Drehbühne kreist, eine Treppe führt auf eine Balustrade und wieder runter. Oben lässt sich der große Spiegel verstellen, um diverse Voyeurs-Blicke auf die eitlen Egomanen da unten und ihre Opfer zu geben.

Mit Inbrunst

Die Darsteller schmeißen sich mit gesanglicher Inbrunst in ihre Rollen: Armin Kahl ist als Valmont ein wohl bemähnter Hengst von beeindruckender sexueller wie stimmlicher Potenz. Was in ihm einen Größenwahn erzeugt, den er in „Allmächtig“ prächtig besingt. Später bezeichnet er sich selbst als Sklave des Triebs: „Dagegen bin ich machtlos“.

Mit solchen inneren Bögen und zum Teil eingängigen Leitmotiven strukturieren Schubring und Adenberg ihr Musical. So haben sie gleich mehrere Songs komponiert, die von der jeweiligen Einstellung zur Liebe erzählen: Die ehemalige Klosterschülerin Cécile (Anja Haeseli) und ihr Verehrer Danceny (Florian Peters) zeigen sich im Duett überfordert von ihren Gefühlen. Die Marquise de Merteuil – die famose Anna Montanaro mit ihrem kräftig leuchtenden Mezzo-Sopran – beschert der Musicalgeschichte mit „Liebe macht uns schwach“ einen erbosten Anti-Love-Song. Zu diesem steht in schwelgend-süßem Kontrast das Duett „Stark wie der Tod ist die Liebe“ von Valmont und Tourvel.

Gelungener Coup

Als die Tourvel glänzt Julia Klotz auch in stimmlichen Höhen. Komponist Schubring meidet den Streicher-Pathos und das Pompöse nicht, setzt mit den Bläsern düstere Akzente und webt mit Cembalo- und Harfen-Einsprengseln etwas Rokoko-Kolorit in den zeitlos-modernen Musical-Sound. Als Co-Regisseur stand Köpplinger Adam Cooper zur Seite, ein Profi vom Londoner West End, der sehr genau weiß, wie er das Ensemble ausdrucksstark choreographiert.

Die Verführungskünstler auf der Bühne werden zum Schluss Opfer ihrer eigenen Manipulationen. Dass die Desillusionierung und Durchtriebenheit sich dabei wie ein Virus auf die nächste Generation übertragen hat, macht Köpplinger zu böser Letzt klar. Und erntet mit seinem Team mächtig viel Applaus, ja, stehende Ovationen für einen hervorragend gelungenen Musical-Coup.

Cuvilliéstheater, Di bis Sa, 24. bis 28.2., sowie Mo bis Fr, 2. bis 6. März, 19.30 Uhr, Karten unter Telefon 21 85 19 60

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