Aufbegehren und Unterdrückung
Schon längst zählt er zu den gefragten Counter-Tenören der Opernwelt. Eine Spezialität des gebürtigen Argentiniers ist Georg Friedrich Händel. Nun singt Franco Fagioli im Oratorium „Semele“, das vom Gärtnerplatz im Cuilliéstheater als „Minioper“ inszeniert wird, die Rolle des Prinzen Athamas. Zudem hat von Fagioli gerade bei Naïve eine CD mit Arien für Caffarelli von neapolitanischen Komponisten vor. Mit diesem Kastraten hatte Händel große Probleme.
AZ: Herr Fagioli, warum mochte Händel Caffarelli nicht?
FRANCO FAGIOLI: Weil beide Diven waren. Händel hat auch Farinelli nicht gemocht, obwohl er damals neben Caffarelli der berühmteste Sänger war. Händel selber war so populär wie heute Andrew Lloyd Webber. Vielleicht war es eine Rivalität, eine Art Wettbewerb. Jedenfalls glaube ich nicht, dass Händel Caffarellis Gesang nicht mochte. Immerhin hat er für ihn komponiert, für Farinelli nicht.
Händels Arien für Caffarelli sind aber keine Bravourstücke wie die aus Neapel.
Das stimmt, auch wenn Händels Arien italienisch geprägt sind. Händel hat aber nicht zuvorderst für die jeweiligen Sänger geschrieben, sondern vor allem für sich und das Publikum. Die Neapolitaner haben hingegen die Arien auf die Fähigkeiten der Sänger zugeschnitten, damit sich diese im allerbesten Licht präsentieren konnten. Das ist der große Unterschied.
Mit welcher Konsequenz?
Dass die Arien von Händel sängerfreundlicher und weniger schwierig sind – weil er sich eben nicht in den Dienst eines bestimmten Sängers stellte. Rein gesangstechnisch sind Händels Arien allgemeiner gehalten. Das eint ihn mit Mozart oder Rossini, die ebenfalls sehr sängerfreundlich sind. Ich muss sagen, dass die Neapolitaner die schwierigste Musik überhaupt komponiert haben. Die Arien sind wirklich tückisch. Das hat etwas Sportliches, fast schon Akrobatisch-Athletisches.
Darf man Händels Oratorium „Semele“ als Oper inszenieren – wie jetzt in München?
Natürlich sind Oper und Oratorium nicht dasselbe. Aber „Semele“ ist kein gewöhnliches Oratorium. Normalerweise sind Oratorien geistlich, das ist hier nicht so. Für mich ist „Semele“ eine Oper im Gewand eines Oratoriums – mit vielen Chören. Auch Glucks Oper „Orfeo ed Euridice“ hat zahlreiche Chöre. Händel nutzte die Struktur des Oratoriums, um Semeles Geschichte zu erzählen.
Was wird in München erzählt?
Bei uns ist sie ein Mädchen, das nicht akzeptieren möchte, was ihr die Gesellschaft und die Familie aufzwingen. Sie soll mit dem Prinzen Athamas, den ich singe, vermählt werden – aber sie will das nicht. Sie hat einen Liebhaber, der viel besser ist, nämlich der Göttervater Jupiter. Es geht um Restriktionen der Gesellschaft und der Familie und um das Aufbegehren.
Wobei sich die Regisseurin Karoline Gruber vor allem die Gesellschaft vorknöpft?
Ja, im Zentrum steht nicht zuletzt der Konflikt zwischen der Gesellschaft und dem Individuum. Ich mag sehr, wie Karoline Gruber mit uns arbeitet. Sie ist sehr sensibel und agiert mit uns, ist uns sehr nah. Sie möchte unsere Meinung wissen und hören, wie wir etwas empfinden. Deswegen möchte ich wieder mit ihr arbeiten – zumal meine Rolle klein ist und leider gekürzt wurde. Dabei ist Athamas der einzige Counter in dem Werk, stimmlich ist diese Rolle speziell. Aber Karoline Gruber liebt die Musik. Sie weiß genau, wo sie was haben will. Alles geht bei ihr ganz wunderbar zusammen.
Sie inszeniert also nicht nur das Textbuch...
Wer in einem Musiktheater Regie führt, sollte Ahnung von Musik haben. Ich bitte Sie, Oper ist Oper!
Premiere: 24. Oktober, 19.30 Uhr, Cuvilliéstheater. Auch am 26., 28. und 30.10. sowie im November; Telefon 2185 1960