Auf Heimatwurzelsuche

Dimiter Gotscheff bringt Peter Handkes Familienaufarbeitung „Immer noch Sturm“ in abgemildeter Form ins Residenztheater
von  Gabriella Lorenz

 

Es war eine kleine Sensation, dass Resi-Intendant Martin Kušej die Regielegende Dimiter Gotscheff zu einer ersten Inszenierung in München überreden konnte. Der Preis war die Aufführung von Heiner Müllers Frühwerk „Zement“. Gotscheff, seit Jahrzehnten Müllers Regie-Sachwalter, hatte das Stück vergeblich anderen Theatern angeboten. Gotscheffs Dichter-Engagement zu Ehren veranstaltet das Resi vom 24. bis 26. Mai im Marstall ein Heiner-Müller-Festival – eröffnet von Gotscheffs Berliner Inszenierung „Verkommenes Ufer“.

Allein Gotscheff zu Ehren holte das Resi ein zweites Gastspiel und zeigte an Pfingsten „Immer noch Sturm“ von Peter Handke, uraufgeführt bei den Salzburger Festspielen 2011 (die AZ-Premierenkritik ist online nachzulesen). Damals entfachte Handkes Aufarbeitung seiner slowenischen Herkunft keinen Sturm, aber viel Wind im Blätterwald. Einig waren sich die meisten Rezensenten, dass das kein Drama sei, sondern eine prosahafte therapeutische Familienaufstellung, die der „Ich“-Erzähler – also Handke, gespielt von Jens Harzer – auf einer Kärntner Heide beschwört. Mit ihrer Historie erinnert er an die slowenische Minderheit und ihren Partisanenkampf um Autonomie, ein Kurzabriss reicht am Ende bis heute. Hoffnungen auf Freiheit und eine eigene Republik enttäuscht, verfolgt und diskriminiert – das bittere Fazit einer Heimatwurzelsuche.

Handkes völkisch-nationalistische Töne und Lobgesänge auf die heilige Muttersprache sind deutlich gemildert, die dem Dichterwort ergebene Aufführung um eine knappe Stunde verkürzt. Im permanenten grünen Blätterregen (Natur! Wind der Geschichte in den Zweigen von Slowenien!) entwickelt das fabelhafte Ensemble (darunter Bibiana Beglau) des Thalia Theaters aus Gotscheffs epischem Erzählduktus wunderbare Figuren. Großer Beifall.

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