Artistik und Poesie in der Olympiahalle

Der Cirque de Soleil überwältigt in der Münchner Olympiahalle mit seinem Programm "Quidam"
Michael Stadler |
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Der Cirque de Soleil überwältigt in der Münchner Olympiahalle mit seinem Programm "Quidam"

Nass kann der Mann ohne Kopf in seinem breiten Mantel nicht werden. Dennoch trägt er einen Regenschirm, entführt ein kleines Mädchen aus der Leere des Alltags, erzeugt Bilder in seinem Kopf, entführt es in eine Traumwelt, wo es Sensationen nur so regnet. Die Körper der Artisten, ihre virtuose Beherrschung desselben stehen im Zentrum von „Quidam“, einer der Shows, mit denen der in Québec ansässige, längst auch international besetzte Cirque du Soleil durch die Welt tourt. Bei ihrer Show in der Olympiahalle, die nicht großartig besetzt ist (aber für die sieben Shows in München sind immerhin schon 32 000 Karten verkauft), lassen sie keinen Zweifel, dass sie zu Recht zu den ganz Großen der Artistik zählen, farbprächtig kostümiert, die Körper stark, elastisch wie ein Gummiband.

In den losen Rahmen, die Reise des Mädchen Zoé, das mit rotem Luftballon staunend zum Mitzuschauer wird, bauen sie eine Vielzahl von schwebend schönen Nummern in einem sehr luftigen Bühnenbild, das von einem großen Bogen mit fünf darin angebrachten Aluminiumschienen bestimmt wird. Darin sind Gondeln befestigt, welche die Artisten und das, was sie brauchen, transportieren. Da entfaltet sich ein rotes Seidenband von oben in die Tiefe, eine rothaarige Artistin verbiegt sich darin, lässt sich atemraubend herabfallen, kompliziert verwickelt. Eine prächtige Luftnummer. Später schweben drei Artistinnen in Reifen über der Bühne, finden zu immer neuen Formationen.

Am Boden wirbelt eine Gruppe von zwanzig Seilspringern, alles perfekt koordiniert, und eine Artistin verbiegt ihren Körper, als ob sie keinen Knochen im Körper hat, die eine Hand so stark, dass sie den ganzen Körper in der Luft trägt. Immer wieder werden zu den artistischen Höchstleistungen dekorative Kontrapunkte gesetzt, ein Jongleur türmt Regenschirm, roten Ball und Hut aufeinander, während neben ihm drollige Nebenfiguren babyhaft mit Bällchen spielen. Manchmal ist das zu viel des Guten, die spektakuläre Nummer zweier Artisten, Mann und Frau, die sich gegenseitig in Balance halten, bräuchte kein schmückendes Beiwerk an den Rändern. Zündende Clownereien gibt es eigentlich nur eine: Ein frivoler Regisseur, der eine Eifersuchtsszene mit vier Zuschauern inszeniert - eine klassische Straßennummer, wie eine Verbeugung vor der eigenen Vergangenheit.

Der Cirque du Soleil begann 1984 mit zwanzig Straßenkünstlern, die damals sicherlich nicht ahnen konnten, dass die Gruppe, die sie da gründeten, eines Tages 5000 Mitarbeiter zählen würde, ein Unternehmen mit weltweiter Ausstrahlung. „Quidam“ ist eine Träumerei voll bunter Figuren und Blitzschläge bis zum Schluss. Der kopflose Mann mit dem Regenschirm taucht wieder auf und Zoé, begleitet von der sechsköpfigen Band, singt ihr letztes Lied. Die Musik legt einen breiten Teppich zwischen Pop, Rock und Ethno, viel Stille kann man sich in der Halle nicht leisten. Dass ist dann auch der Preis des Erfolgs: der Verlust an Intimität. Und die Poesie droht in der Weite des Raums sich zu verflüchtigen. Aber sie ziehen alle Register, überwinden scheinbar die Schwerkraft, die nicht nur Zoés, sondern auch unseren Alltag bestimmt.

 

 

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