Interview

"Arche Nova" im Volkstheater: Gottes leere Versprechungen

Volkstheater: Der Regisseur und Autor Noam Brusilovsky über sein Stück "Arche Nova" nach Motiven der Bibel.
von  Mathias Hejny
Der Regisseur Noam Brusilovsky wurde 2022 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden geehrt.
Der Regisseur Noam Brusilovsky wurde 2022 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden geehrt. © picture alliance/dpa/SWR/Thomas Ernst

München - Zuletzt fiel Noam Brusilovsky dem Volkstheater mit einem "Gehörlosenhörspiel" auf. Der Regisseur arbeitet sowohl für die Bühne als auch für das Radio. Seine neue Schauspielinszenierung ist ein "Mysterienspiel" über Katastrophe und Rettung, das von der alttestamentarischen Geschichte der Arche Noah inspiriert wurde.

Es werde nicht zuletzt auch ein Hörerlebnis sein, versprach Noam Brusilovsky im Gespräch mit der AZ. Premiere ist am Sonntag.

AZ: Herr Brusilovsky, das Stück heißt "Arche Nova", also übersetzt "Die neue Arche". Erzählen Sie auch von der alten Arche?
NOAM BRUSILOVSKY: Wir erzählen von Altem und Neuem gleichzeitig. Es gibt immer wieder Spiegelungen von Bibel und Zukunft. Wir leben in Zeiten, in denen wir das Gefühl haben, die ganze Welt könnte bald überflutet werden. Deshalb holen wir uns diese Geschichte aus der Bibel und fragen uns, welche Elemente der Katastrophe und der Rettung uns heute interessieren.

Das Volkstheater kündigt das Stück mit dem Satz an: "Der Theaterraum simuliert eine Arche". Wie kann man sich eine solche Simulation vorstellen?
Es gibt in der Theatergeschichte sehr starke Verbindungen zwischen der Arche und dem Theater. Die ersten Techniker, die an Theatern arbeiteten, kamen vom Schiffbau. Auch die Arche kommt vom Theater des Mittelalters und den Mysterienspielen. Die Frage, die wir mit diesem Stück stellen, ist, ob das Theater der Raum sein kann, in den wir im Falle einer Katastrophe fliehen können. Finden wir dort Trost? Ist er ein Raum für alle? Was bedeutet es, in diesem Raum nicht mehr spielen zu können? Wie nachhaltig ist dieser Raum?

"Alleine in den letzten zwei Jahrhunderten haben wir so viele Genozide erlebt"

Was sind Ihre Ergebnisse?
Ich kann so viel sagen, dass es kein Happy End gibt, so wie es gerade auch in der Welt kein Happy End gibt. Ich finde aber auch in der biblischen Geschichte kein Happy End. Es gibt ein Bild von der Arche Noah auf dem Ararat und darunter ist alles voll von Leichen. Ist das ein Happy End? Bedeutet die neue Welt die Auslöschung der alten Welt? Man kennt die kitschigen Bilder vom Regenbogen und dem Bund zwischen Noah und Gott mit seinem Versprechen, so etwas nie wieder zu tun. Alleine in den letzten zwei Jahrhunderten haben wir so viele Genozide erlebt, dass man sich fragen muss, was für ein Versprechen das überhaupt war. Aber ich will auch in diesem Stück kein Happy End, denn ich sehe, was Corona mit dem Theater gemacht hat. Ich habe das Gefühl, dass es viele Menschen verlernt haben, ins Theater zu gehen. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern man kann es auch an den Zahlen der Kassen deutschsprachiger Theater ablesen.

Was könnte das für die nächste Zukunft bedeuten?
Wenn ich jetzt ins Theater gehe, frage ich mich, ob die Menschen nach der Corona-Unterbrechung andere Geschichten haben wollen und wie man den Theaterraum weiterhin benutzen will. Das ist wie bei der Arche: Will man da weitermachen, wo man aufgehört hat, oder kann die Geschichte nicht so weiter gehen, wie ich sie zuvor erzählt habe.

"Der Gott des Alten Testaments ist ein anderer als der des Neuen Testaments"

Was Gott so erzürnte, dass er seine Schöpfung mit der Sintflut fortspülte, scheint nie schlüssig erklärt zu sein.
Es gibt ein paar Andeutungen, aber sie sind offen für Interpretationen. Es gab Betrug und Gewalt, und die Menschen sind nicht besonders gut miteinander umgegangen. Der Gott des Alten Testaments ist ein anderer als der des Neuen Testaments. Der alte Gott lässt sich leicht ärgern und stellt die Menschen vor Prüfungen, durch die er sie dann absichtlich fallenlässt. Er ist ein Gott, der nicht perfekt und mit seiner eigenen Schöpfung sehr unzufrieden ist. Dieser Gott ist ein Regisseur: Das gefällt mir nicht, das machen wir noch mal neu. Im Neuen Testament ist er ein Gott des Verzeihens und der Vergebung.

Apropos: Waren Sie schon in Oberammergau?
Na klar. Wir beziehen uns auch auf die Passionsspiele. Da gibt es einen interessanten Moment, denn man macht ein Stück, um eine Katastrophe zu vermeiden - nämlich die Pest. Dadurch, dass Christian Stückl und die ganzen Oberammergauer hier im Haus gearbeitet haben, haben wir ein sehr enges Verhältnis zu ihnen. Es macht sehr viel Spaß, in unserem Schiff aus dem Passionsspiel zu zitieren, wie die Musik oder die lebenden Bilder. Es geht ja auch um die Frage: Was nehmen wir aus der alten Welt auf die Arche mit? Oberammergau gehört auf jeden Fall dazu.


Volkstheater, Bühne 2, Premiere am 19. Juni, nächste Vorstellungen 21. Juni, 6. Juli, 20 Uhr, Telefon 5234655

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