Anton Nürnberg über "Die Brüder Karamasow"
München - Es ist der letzte Roman von Fjodor Michailowitsch Dostojewski und wie so oft in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts ein breit aufgestelltes Panorama aus dem Zarenreich. "Die Brüder Karamasow" können kaum gegensätzlicher sein: hedonistischer Soldat der eine, atheistischer Intellektueller der andere, frommer Mönch der dritte. Dimitrij, den ältesten der Brüder, spielt in der Inszenierung von Christian Stückl, Anton Nürnberg.
AZ: Herr Nürnberg, Sie haben früh mit der Schauspielerei begonnen.
ANTON NÜRNBERG: Ich bin dem Jugendclub des Hamburger Schauspielhauses beigetreten, habe dort eine Schauspielerin kennengelernt, mich in ihre Tochter und ins Theater verliebt. Dann war die Sache gegessen. Eigentlich wollte ich Koch werden.
Auch ein schöner Beruf.
Ähnliche Arbeitszeiten.
Koch oder Schauspieler, die Arbeitszeiten sind gleich
Betrachtet man Ihre Vita, scheint der Weg danach ungewöhnlich geradlinig gewesen zu sein: Vier Jahre Otto-Falckenberg-Schule und seit dieser Spielzeit Ensemblemitglied im Volkstheater. Wie haben Sie das gemacht?
In Wirklichkeit hat nicht alles sofort geklappt. Ich war zuerst an der Ernst-Busch-Schule in Berlin zum Vorsprechen. Dort hat man mich schon in der ersten Runde rausgekickt und gesagt: "Lassen Sie das, Herr Nürnberg." Zwei Tage später war ich in der Falckenberg-Schule und habe die drei Runden geschafft. Das richtige Gefühl war es dann auch hier, sonst wäre ich nach Heilbronn gegangen. Aber Christian Stückl und sein Team vermittelten mir das Gefühl, mich wirklich haben zu wollen.
Ihre große Schwester Eva Nürnberg ist vier Jahre älter und auch Schauspielerin. Konnte Sie Tipps geben?
Sicher. Wenn man zum E-Casting für Filme eingeladen wird, muss man sich im Kinderzimmer oder im Wohnzimmer selber mit der Kamera aufnehmen. Ich hatte keine Ahnung, keine Ausbildung und meine Schwester hat mir viel geholfen. Heute helfen wir uns gegenseitig. Der Schauspielberuf lebt auch davon, sich gegenseitig zu kritisieren. Ohne ein Korrektiv von außen schafft man es nicht, zum Kern zu kommen.
"Das bedeutet eine gewisse Bescheidenheit"
Auf der Homepage des Volkstheaters nennen Sie als Lieblingszitat ein Ausspruch von Otto Sander: "Kellner, Nutten, Taxifahrer, Schauspieler - alles das Gleiche: Dienstleistendes Gewerbe".
Wir haben das Ziel, Menschen zu berühren, wir wollen, dass sie uns zuhören, wir wollen ihnen Geschichten erzählen. Dazu haben wir uns ausbilden lassen und dafür lassen wir uns bezahlen. Natürlich ist dieser Beruf sehr romantisiert. Man assoziiert roten Teppich, Ruhm und Preise, aber es ist in erster Linie Arbeit. Das sollte man wissen, wenn man einsteigt. Dazu gehört die Achtung vor den anderen Leuten, die einem dabei helfen und auch Dienste leisten: Die Masken geben, die Perücken stecken oder uns einkleiden. Wenn einer von denen fehlt, läuft es nicht. Das bedeutet eine gewisse Bescheidenheit, und ich glaube, das ist es, was Otto Sander meint.
Mikrokosmos Kernfamilie
Die Printausgaben des Romans "Die Brüder Karamasow" sind über 1.000 Seiten dick und für seine Bühnenadaption brauchte Frank Castorf 2015 in Berlin fast sieben Stunden. Wie bändigen jetzt Stückl und sein Dramaturg Bastian Boß dieses Werk?
Der Roman ist ein Geflecht aus rund 50 Personen, das Stückl und Boß mit der Lupe untersuchten, um den Kern zu entdecken. Wir konzentrieren uns sehr auf die Familie als einen Mikrokosmos, der eine Gesellschaft auch im Ganzen widerspiegeln kann. In zweieinhalb Stunden kann man natürlich nicht alles auserzählen. Aber es ist eine Familientragödie, in der jede Figur individuell auf der Suche nach ihrer eigenen Wahrheit ist und am Ende daran scheitert.
"Jeder hat was Liebenswertes"
Die Geschichte hat auch etwas von einem klassischen Whodunit entlang der Frage: Wer war der Mörder?
Es ist ein Krimi, aber kein "Tatort". Dimitrij wird beschuldigt, seinen Vater umgebracht zu haben. Der Roman endet mit einer Gerichtsverhandlung, aus der nicht hervorgeht, wer es war. Der Leser erfährt es dann irgendwann und natürlich auch das Theaterpublikum. Das Schöne an Dostojewski ist, dass niemand von vornherein der Böse sein könnte. Jeder hat was Liebenswertes.
Dimitrij ist ein Lebemann und Womanizer mit Neigung zum Extremen. Wie nähern Sie sich dieser Rolle?
Zwei Schritte vor und einen zurück. Wenn man den Roman liest, bekommt man eine Idee von der Figur. Dann probiert man es aus und merkt, ja, da ist ein Lebemann und der ist extrem. Aber was heißt das? Das kann man einfach spielen, aber das ist langweilig, wenn es nicht auch Tiefe hat. Diese Figur ist ambivalent und wehrt sich selbst gegen das Extreme. Deshalb wird er auch zunächst als Mörder abgestempelt. Man liest einen Text, aber wie die Figur dann zu Fleisch wird und zu sehen, wie sie "in echt" ist, dafür geht man ins Theater.
Volkstheater, Premiere am Sonntag, weitere Vorstellungen 7., 13., 15., 16., 25. Dezember, 20 Uhr, Karten: 089 5234655.
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