Anna Netrebko zeigt Flagge von "Neurussland"
Nicht nur musikalisch gehört Anna Netrebko zu den wichtigsten Stimmen Russlands. Nun hat sich die Sängerin mit einem bekannten Aufständischen aus der Ukraine gezeigt. Am Beispiel der Diva stellt sich die alte Frage: Wie politisch muss ein Künstler sein?
Sie verdient ihr Geld in Wien, Zürich, Paris, München und New York. Sie reist lieber mit ihrem österreichischen als dem russischen Pass, weil das einfach bequemer ist. In ihrer Heimat tritt Anna Netrebko nur sehr selten auf. Aber offenbar überfällt alle Russen gelegentlich ein patriotischer Rappel, über den man sich nur wundern kann.
Vorgestern hieß es, Anna Netrebko habe das Opern- und Balletttheater in der ost-ukrainischen Stadt Donezk mit einer Million Rubel unterstützt. Das klingt nach mehr, als es ist: Umgerechnet sind das 15 000 Euro, etwa die Gage, die Anna Netrebko für einen Auftritt an der klammen New Yorker Metropolitan Opera bekäme.
Die Sängern bezeichnete sich bei diesem Anlass als „unpolitisch“ und ihre Geste als „rein humanitär“. Ihre Kollegen würden wegen der Gefechte zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Aufständischen „im Bombenhagel“ zur Probe gehen. „Ich möchte etwas tun, um die Kunst zu unterstützen, wo es heute besonders notwendig ist“, sagte Netrebko russischen Medien zufolge.
Die Unpolitische äußert sich politisch
Echte humanitäre Gesten bleiben politisch neutral. Aber die Sängerin nutzte den Termin, um auch politisch Flagge zu zeigen: Sie ließ sich mit dem Separatistenführer Oleg Zarjow und einer Fahne von „Neurussland“ fotografieren. Mit diesem historischen Begriff bezeichnen die Separatisten in den Krisenregionen Donezk und Lugansk das von ihnen beanspruchte Gebiet.
Zarjow steht auf einer Sanktionsliste der Europäischen Union. Er tritt seit Ende Juni als „Parlamentsvorsitzender“ der „Union der Volksrepubliken Donezk und Lugansk“ auf. Davor wollte er für die ukrainische Präsidentschaft kandidieren. Im April wurde er in Kiew aber nach einer TV-Diskussion von Unbekannten schwer verprügelt, worauf er seine Kandidatur zurückzog.
Bei ukrainischen Medien und in sozialen Medien sorgte die Spende und das Zeigen der „Separatistenfahne“ für Empörung. „Die Diva hat kein Wort über die Tatsache verloren, dass das Leiden der Musiker und der Oper von Donezk das Ergebnis der Aktionen der Aufständischen ist“, kommentierte das Internetportal Obozrevatel.com aus Kiew. Der Westen wirft Russland vor, die Gruppen auszurüsten – was Moskau dementiert.
Netrebko hatte schon früher mehrfach ihre Unterstützung für Kremlchef Wladimir Putin bekräftigt. „Es gibt keine Alternative“, sagte sie. Sie gehörte auch zu 500 russischen Künstlern, Wissenschaftlern und Sportlern, die sich vor der Präsidentenwahl 2012 für Putins Rückkehr in den Kreml ausgesprochen hatten – ebenso wie etwa Valery Gergiev, der künftige Chef der Münchner Philharmoniker. Er steht wegen seiner Verteidigung schwulenfeindlicher Gesetze und seiner Unterstützung der Krim-Politik Putins ebenfalls in der Kritik.
Was wäre, wenn Gergiev sich mit einer neurussischen Separatistenfahne fotografieren ließe? Dann wäre er seinen Job wohl los, weil das Amt den Chefdirigenten des Orchesters der Stadt auch mit einer politischen Verantwortung verbunden ist. Dieses Problem hat die Sängerin nicht, aber es könnte ihr Sympathien kosten.
Dieses Foto wird die Netrebko noch lange verfolgen
Im Sommer gibt die Netrebko ein Open-air-Konzert am Königsplatz. Außerdem tritt zum Ausgleich für die abgesagte Premierenserie von „Manon Lescaut“ im Nationaltheater als Tatjana in Tschaikowskys „Eugen Onegin“ auf. Staatsopern-Intendant Nikolaus Bachler hat in der Debatte um Gergiev eindeutig Partei ergriffen: Es gebe „eine gewisse ethische Grundverantwortung“ der Künstler. „Schon wenn man in diesen Dingen etwas verteidigt, macht man sich mitschuldig.“ Für eine Stellungnahme zu Netrebkos symbolischer Verteidung des großrussischen Nationalismus war Bachler gestern nicht ereichbar.
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Die Sängerin wollte sich bisher in Interviews nicht zu politischen Fragen äußern. Es wäre besser, wenn sie weiter geschwiegen hätte. Ihre Bekenntnisse zu Putin blieben bisher weitgehend unbeachtet. Mit ihrer Geste hat sie sich nun selbst zur Botschafterin des Putinismus erklärt. Deshalb wird ihr das Foto mit der Separatistenflagge noch lange nachhängen. Und das gewiss nicht zum Vorteil der Marke „Anna Netrebko“.