Anna Netrebko und Piotr Beczala in Wagners "Lohengrin"

Sündhaft schön gesungen: Anna Netrebko ertrotzt sich die Elsa und Piotr Beczala ist ein wunderbarer Schwanenritter
Man nehme: die prominenteste Sängerin, die die Welt der Oper zu bieten hat. Dazu gebe man einen der besten Tenöre, eine Handvoll erfahrener Wagnersänger und einen Weltklasse-Wagnerdirigenten. Was nach programmiertem Erfolg klingt, traf an der Dresdner Semperoper genau so ein: mit einer Wiederaufnahme von Richard Wagners „Lohengrin“. Mehr noch: In der x-ten Wiederaufnahme einer dekorativen Inszenierung von 1983 nach Christine Mielitz erlebte das Traditionshaus den spektakulärsten Abend der Saison. Seit Monaten ausverkauft, Theater-Jet-Set und internationale Fachpresse – solch einen Rummel erlebt auch die Semperoper nur alle Jubeljahre.
Der Grund ist Mitte 40, stammt aus Russland und steht mit der deutschen Sprache trotz ihrer österreichischen Staatsbürgerschaft eher auf Kriegsfuß: Anna Netrebko hat sich vor einigen Jahren vorgenommen, Wagner auszuprobieren. Die Elsa sollte es sein, eine der Rollen, die nicht nach einer hochdramatischen Stimme verlangen wie etwa Isolde oder Brünnhilde, sondern von sich weiterentwickelnden lyrischen Sopranen gesungen werden können.
Wie ein Eiswind
Warum aber ausgerechnet Wagner? Netrebko, die seit ihrem Salzburger Debüt als Mozarts Donna Anna zum Superstar der Opernbühne emporschoss, singt eigentlich keine Rollen mehr, in denen ihr die Bühnenpartner die Schau stehlen können. Und das ist bei Wagner immer drin: Als Ortrud wäre da etwa Evelyn Herlitzius, eine begnadete Sängerdarstellerin, die ihren scharfen Charaktersopran und darstellerische Hingabe zu einem packenden Porträt formt. Als ihr Gatte Friedrich von Telramund setzt Bariton Tomasz Konieczny ebenfalls auf kernige Schärfe bei beachtlichem Volumen: Das schaurige Duett des Paares im zweiten Aufzug scheint die Temperatur im prallvollen Opernhaus zu senken wie ein Eiswind.
Schließlich König Heinrich, der in mancher „Lohengrin“-Aufführung als pastoraler Stichwortgeber daherkommt – bei Georg Zeppenfeld aber zur hintergründigen Figur wird. Unglaublich, wie der Bass, der mühelos Sarastro-Tiefen der „Zauberflöte“ auslotet, die Höhengebirge dieser Partie erklimmt.
Ein neuer Topinterpret für die Titelrolle
Vor allem aber wurde an diesem Abend ein neuer Lohengrin-Topinterpret geboren: Piotr Beczala genießt hierzulande noch nicht den Ruhm seines deutschen Kollegen Jonas Kaufmann, an internationalen Häusern wie der New Yorker Met ist er schon lange eine feste Bank und vom russischen Repertoire bis zum „Rigoletto“-Herzog heiß begehrt. Nun versucht auch er sich erstmals an einer Wagner-Partie – und dieses Wagnis liefert eine der wohlklingendsten Interpretationen, an die man sich nach Archivlage und Erfahrung der neueren Zeit erinnern kann. „Wie der Tauber“, flüstert eine Sitznachbarin. Und der Vergleich hinkt kaum: So viel Stimmglanz, so viel Eleganz hat die Wagnerwelt noch nicht gehört. Stil-Diktatoren werden mokieren, dass Beczala hier und da die Töne ineinander übergleiten lässt wie in der italienischen Oper. Aber: Wenn ein Wagner-Dirigent wie Christian Thielemann, der beiden Rollendebütanten ein unglaublich hilfreicher Unterstützer ist, dem Tenor dieses Zuckerl erlaubt: Kann dann Schönklang Sünde sein? Ein neuer Wagner-Stern ist jedenfalls geboren, sofern sich der vielseitige Sänger diese Mühe weiterhin antun will.
Sehr gutes Deutsch
Diese Frage kann man auch bei Netrebko stellen. Denn eine geborene Elsa ist sie nicht, ihre mächtig gewachsene Stimme will lodern und gleißen – und das darf sie in dieser Partie nur selten. Wo sie die Leinen loslassen kann, ist das ein Stimmenfest von hohen Gnaden. Wo das kleine Besteck gefragt ist, bleibt die Intonation ungenau. Doch: Auch dies war erst ihr Rollendebüt. Und alle Besserwisser, die seit Jahren unken, die Netrebko könne kein Deutsch singen, dürfen sich schmollend ins Meckereck zurückziehen. Sie singt ein sehr gut verständliches Deutsch und muss eine Menge Arbeit investiert haben. Es soll sich lohnen: Kommende Woche sitzt Katharina Wagner in der Semperoper, danach wird wohl klar sein, ob Netrebko wie geplant im kommenden Bayreuther „Lohengrin“ auftritt und sich einen Traum verwirklicht.
Normalerweise dürfen sich Regie, Dirigent Thielemann, die diesmal etwas hölzern beginnende Staatskapelle Dresden und der hervorragende Opernchor (Einstudierung: der zuvor am Gärtnerplatztheater wirkende Jörn Hinnerk Andresen) über ausführlicheres Lob freuen – diesmal gilt es den Solisten.