Andris Nelsons dirigiert "Rusalka"
MÜNCHEN - Der Repertoire-Alltag kann in einem Opernhaus recht öde sein – wie bei Verdis „Maskenball“ am letzten Sonntag im Nationaltheater. Aber manchmal ist so eine Vorstellung auch besser wie die Premiere. Und die war im Fall von Antonín Dvoráks „Rusalka“ im Oktober 2010 auch schon nicht schlecht.
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Damals übernahm die noch wenig bekannte Kristine Opolais kurzfristig die Titelpartie. Sie singt und spielt diese Rolle noch immer unglaublich intensiv. Nun steht auch noch ihr Gatte Andris Nelsons am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Das ist eine Wucht und zugleich eine Überraschung, obwohl der Lette öfter hier das BR-Symphonieorchester und diverse Gastorchester dirigiert.
Der Dauerüberdruck, mit dem er sich da in die Musik hineinschwitzt, wirkt manchmal etwas schlicht. Mitreißend ist es immer. Aber erst in der Oper findet dieser Dauer-Energetiker richtig zu sich selbst. Von der ersten Sekunde feuerte er das Orchester an und winkte dem Blech mit der Faust. Er verbreitete eine ungebremste Spielfreude. Und soweit das aus dem Parkett zu beurteilen ist, konnten die Musiker seiner Mimik jede Phrasierung so punktgenau ablesen, dass es offenbar eine Freude war, seine Interpretationswünsche auszuführen.
Fetzig und leidenschaftlich
Das Bayerische Staatsorchester überraschte mit präzisen Details subtilen Bläser-Akzenten und fetzigen Tutti. Jeder Triangelschlag stand unter Strom. Dvoraks Musik verträgt es, mit Starkstrom gespielt zu werden. Seltsamerweise wuchs dabei gerade der folkloristische Aspekt der Musik über sich hinaus: Er wurde zum Drama, was perfekt zu Martin Kusejs psychologisch böser Deutung der Undinen-Geschichte passt. Die wirkt auch nach sechs Jahren ausgesprochen frisch.
Am Ende des zweiten Akts kochten in der Eifersuchtsszene die Emotionen hoch, als würden heißblütige Sizilianer „Cavalleria rusticana“ aufführen. Aber das war kein Stilbruch. Und die vielen lyrisch-melancholischen Stellen der Partitur gerieten trotzdem nicht unter die Räder. Nelsons arbeitete mit einem ausdrucksstarken, flexiblen Tempo. Wie er den Schluss als böhmische Anverwandlung von Wagners Liebestod dirigierte, war absolut hinreißend. So perfekt und ausdrucksstark hat man das im Nationaltheater noch nicht gehört: Ein Dirigent, der keine Angst vor Emotionen hat.
Exzellente Sänger
Die Oper des Sinfonikers Dvorák lebt vom Orchester. Und die Sänger konnten da ohne Probleme mithalten. Die Schärfen von Kristine Opolais gingen in ihrer rückhaltlosen Darstellung der psychischen Beschädigung einer jungen Frau auf, die in Kusejs Inszenierung in Anlehnung an den Fall Natascha Kampusch erzählt wird. Günther Groissböck beeindruckt mit seiner schlanken, schwarzen Bass-Stimme vor allem in den lyrischen Passagen, die sehr schwer zu beleben sind. Der junge Ukrainer Dmytro Popov sang den Prinzen mit etwas stumpfem Glanz, aber slawische Tenöre sind nun mal Geschmacksache.
Wie immer begeisterten die Nebenrollen, für die hier nur Tara Erraught genannt werden kann, die aus dem Küchenjungen ein rotzig unverschämtes Gör macht, dem der Hass auf Rusalka gleich auf den ersten Blick anzusehen ist. Auch Ulrich Reß (Jäger), Nadia Krasteva (Fremde Fürstin) und Helena Zubanovich trugen ihr Bestes dazu bei, eine rundum runde, mitreißende Aufführung entstehen zu lassen, wie sie nicht alle Tage vorkommt.
Wirklich schade, dass Nelsons, dieser Meister der Spontaneität, so selten Opern dirigiert. Derzeit konzentriert er sich als Gewandhauskapellmeister und Chef des Boston Symphony Orchestra auf Konzerte. Und in beiden Ämtern ist er frisch. 2020, wenn der Posten des Bayerischen Generalmusikdirektors frei wird, dürfte er kaum Lust haben, nach München zu wechseln.
Wieder am 18., 23. und 25. Juni, 19 Uhr im Nationaltheater, Restkarten unter Telefon 2185 1920